Stellungnahme des IfS zu Vorkommnissen auf der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche rund um den Workshop »Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Orthodoxem Marxismus«

Das IfS als verantwortlicher Veranstalter der Zweiten Marxistischen Arbeitswoche (MAW) hat sich in deren Vorfeld kurzfristig zur Absage eines der 44 geplanten Workshops (»Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Orthodoxem Marxismus«) entschlossen. Dies wurde den beiden Workshop-Leitern, Jan Schroeder und Stefan Hain vom Projekt „Platypus Affiliated Society“, am 23. Mai 2023 schriftlich mitgeteilt; die zum Workshop angemeldeten Teilnehmer:innen der MAW wurden einen Tag später von der Absage in Kenntnis gesetzt. Am 29. Mai 2023 widersetzten sich die beiden Genannten dieser Entscheidung und führten ihren Workshop eigenmächtig in den von der MAW genutzten Räumlichkeiten des Studierendenhauses auf dem Campus Bockenheim durch – gegen den vor Ort erklärten Willen der Tagungsorganisation.
Das IfS distanziert sich hiermit öffentlich von den beiden Workshop-Leitern und ihrer Organisation. Die Durchführung des Workshops trotz offiziell zurückgezogener Einladung und anschließend wiederholter, ausdrücklicher Ausladung stellt ein inakzeptables Verhalten dar. Wir möchten zudem unser Unverständnis über jene Teilnehmer:innen der MAW äußern, die die Absage des Workshops ignorierten und Mitarbeiter:innen des Organisationsteams entweder öffentlich beleidigt oder aber diese Beleidigungen akzeptiert bzw. beklatscht haben. Sie sind, wie auch die Workshop-Leiter selbst, bei zukünftigen Veranstaltungen des IfS nicht mehr willkommen.

Stephan Lessenich für das Institut für Sozialforschung

 

Zur Vollansicht der gesamten Workshops auf das jeweilige Zeitfenster klicken.

Alle Workshops sind ausgebucht.

 

Samstag, 12.30 bis 14.00 Uhr

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 1: Hintergründe und Akteure der Ersten Marxistischen Arbeitswoche - Korsch, Pollock, Wittfogel. (Luise Henckel, Ronja Rossmann, Michael Heidemann)

So unterschiedlich die Biographien der TeilnehmerInnen der Ersten Marxistischen Arbeitswoche im Anschluss an 1923 verliefen – zu vielen gehörte Verfolgung, Verschleppung und auch Ermordung –, verarbeitete dieses erste Theorieseminar des Frankfurter Institus für Sozialforschung doch eine geteilte Erfahrung, welche die kritische Theorie in ihrer Herausbildung wesentlich mitbestimmte: Die Ahnung, dass die vermeintlich in Kürze zu erwartende Revolution im Westen doch ausbleiben würde. Der Workshop umreißt in einer Einführung die Hintergründe und Umstände der ersten marxistischen Arbeitswoche und verfolgt anhand dreier exemplarischer Personenstudien – Karl Korsch, Friedrich Pollock und Karl August Wittfogel – die unterschiedlichen Reflexionsansätze auf die historisch, politisch und theoretisch notwendige Revision des überkommenen Marxismus. Korsch, auf dessen Anregung die Erste Marxistische Arbeitswoche überhaupt stattfand, hatte kurz zuvor mit „Marxismus und Philosophie“ eine beißende Kritik an den „reformistische[n] und bürgerliche[n] Mißbildungen“ des wissenschaftlichen Marxismus veröffentlicht, die die Notwendigkeit einer Neubelebung der materialistischen Dialektik offenbarte. Demgegenüber arbeitete sich der Ökonom Friedrich Pollock an Maxschen Begriffen und der Frage nach deren Geltung und Korrekturbedarf ab. Er beendete kurz vor der Arbeitswoche seine Dissertation „Zur Geldtheorie von Karl Marx“, in der er Fragen um Wert- und Fetischkritik behandelt und Begriffsarbeit an Marx selbst gegen eine marxistische Orthodoxie leistet. Karl August Wittfogel schließlich reagierte auf das „gegenwärtige Krisenproblem“ mit einer Betonung des Naturmoments in der Wirtschaftsgeschichte und weckte damit – wohl auch gegen seine eigene Intention – ein Bewusstsein für Kontingenz im historischen Materialismus. Seine Arbeiten zur „asiatischen Produktionsweise“ stellen die universelle Übertragbarkeit des Entwicklungsgangs der westeuropäischen Gesellschaften auf alle Weltregionen in Frage. Im Workshop sollen Werk und Wirken der Autoren nicht bloß ideengeschichtlich rekonstruiert, sondern auch in ihrer Bedeutung für die Ausrichtung und Entwicklung der kritischen Theorie befragt werden, wobei weniger die Gemeinsamkeiten, sondern gerade auch die Differenzen zwischen den Überlegungen der Autoren im Vordergrund stehen werden.

Luise Henckel hat Kulturwissenschaften, Politikwissenschaft und Politische Theorie studiert und lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Sie hält Vorträge und veröffentlicht zu (linkem) Antisemitismus, materialistischer Staatskritik und der politischen Theorie der kritischen
Theorie. Ronja Roßmann studiert Philosophie im Master an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie arbeitet zu kritischer Theorie mit einem Schwerpunkt auf Ökonomiekritik und Erkenntnistheorie. Michael Heidemann ist Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie in Oldenburg und publiziert u.a. in der sans phrase – Zeitschrift für Ideologiekritik.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 2: Der Überschuss der Dinge: Kritische Theorie der Alltagsgegenstände (Lukas Böckmann, Robert Zwarg)

Wo immer wir uns auch befinden sind wir von Dingen umgeben. Fast alle dieser Dinge teilen eine zentrale Eigenschaft: sie sind oder waren einmal warenförmig – und können es potenziell (wieder) sein. In den uns umgebenden Dingen verdichten sich somit gesellschaftliche Verhältnisse. Ebenso können an ihnen soziale Praktiken sowie historische Umbrüche und Krisentendenzen abgelesen werden. Zur Kritischen Theorie, wie sie im Institut für Sozialforschung entworfen wurde, gehörte daher immer auch die Auseinandersetzung mit den konkreten Gegenständen des Alltags, die »Analyse des kleinen Einzelmoments«, um darin »den Kristall des Totalgeschehens zu entdecken« (Walter Benjamin). Hieran soll in dem Workshop angeschlossen werden. So wie sich aus dem massenhaft produzierten Fernseher die Rekonfiguration des bürgerlichen Interieur entfalten lässt, ermöglichen das Smartphone und sein Gebrauch eine Analyse des zeitgenössischen Verhältnisses von Konzentration und Zerstreuung, Kollektivierung und Vereinzelung. Dabei existiert, so die Grundthese, eine Spannung zwischen dem »Totalgeschehen« einer warenförmig produzierenden Gesellschaft, deren Telos die »reine Zweckmäßgkeit« ist einerseits und einer irreduziblen materiellen, praktischen Eigenlogik der Dinge, ihrem Eigensinn und »Überschuss«. Anhand von Textauszügen von Theodor W. Adorno, Siegfried Kracauer und Walter Benjamin möchten wir diesem Verhältnis in gemeinsamer Auseinandersetzung mit konkreten Alltagsdingen – gegenwärtigen wie verschwundenen, zeitgemäßen wie anachronistischen – nachgehen und die Frage aufwerfen, wie eine Kritische Theorie der Alltagsgegenstände in der gegenwärtigen Gesellschaft aussehen könnte.

Lukas Böckmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow. Kürzlich hat er seine Dissertation zu den religiösen Tiefenschichten der lateinamerikanischen Guerilla der 1960er Jahre eingereicht. Robert Zwarg ist freier Autor und Übersetzer in Leipzig, 2021/22 hatte er die Gastprofessur für Kritische Gesellschaftstheorie an der JLU Gießen inne.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 3: Die Omnipräsenz und Brutalisierung unhaltbarer Zustände – Gewalt im Geschlechterverhältnis materialistisch begreifen (Lilian Hümmler, Cari Maier, Sarah Speck)

Lokale und transnationale feministische Bewegungen haben in den vergangenen Jahren lautstark und quer über den Globus die Omnipräsenz und auch die Brutalisierung geschlechtsbezogener Gewalt angeprangert. Neben Fragen rund um den Schutz von Betroffenen sowie Möglichkeiten (juristischer) Aufarbeitung werden auch gesellschaftstheoretische Perspektiven auf Gewalt im Geschlechterverhältnis vermehrt diskutiert. Insbesondere Ansätze aus Lateinamerika haben in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit erfahren, die Gewalt an femininen, feminisierten und dissidenten Körpern mit unterschiedlichen Formen kapitalistischer Ausbeutung und Enteignung sowie kolonialen Mustern in Verbindung bringen. Diese feministisch-materialistische Lesart ermöglicht einen anderen Blick auf gegenwärtige Krisenkonstellationen im Kapitalismus, also die ›unhaltbaren Zustände‹ und ihre Permanenz. Im Rahmen des Workshops wollen wir diese in Deutschland erst in jüngster Zeit rezipierte Perspektive vorstellen, in Diskussionen gemeinsam vertiefen und über eine davon ausgehende radikale Gesellschaftskritik debattieren sowie über die politischen Perspektiven, die diese Analysen aufwerfen.

Lilian Hümmler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Geschlechtersoziologie und Sozialarbeiterin in der feministischen Mädchen- und Jugendhilfe. Sarah Speck ist Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung. Cari Maier promoviert zu feministischer Gesellschaftstheorie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und ist Mitautor:in von "Femi(ni)zide. Patriarchale Gewalt kollektiv bekämpfen" (2023). Die drei sind seit vielen Jahren in feministischen Kontexten eingebunden und beschäftigen sich in verschiedenen Praxisfeldern mit Gewalt im Geschlechterverhältnis.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 4: Marx über Akkumulation, technischen Fortschritt und Krise. Ein lektürebasierter Workshop zu Grundbegriffen der marxistischen Theorie (Miriam Dietenberger)

Um den Anforderungen an eine materialistische Gesellschaftstheorie gerecht zu werden, die anhand radikaler Kritik gesellschaftlichen Krisendynamiken etwas entgegenzusetzen vermag, ist es notwendig, sich immer wieder auf die Anfänge der marxistischen Theorie zurückzubesinnen. Eben jene Krisendynamiken jedoch, die sich vermittelt auch in den subjektiven Lebenszusammenhängen niederschlagen, lassen wenig Räum für fragende Auseinandersetzung und Verstehen, und es scheinen vielmehr marxistische Begrifflichkeiten ohne Verständnis zu florieren. Der Workshop soll daher eben einen solchen Raum bieten, um gemeinsam, in Ruhe, suchend und fragend marxistischen Grundbegriffen nachzugehen. Es soll um ein Innehalten und Verharren bei marxistischer Theorie gehen – ohne diese unmittelbar anzuwenden oder weiterzudenken. Lektürebasiert, anhand ausgewählter Passagen seines Hauptwerks ‚Das Kapital‘ werden wir uns einem Verständnis von Begriffen wie unter anderen: ‚Rate des Mehrwerts‘ und ‚Profitrate‘, ‚Akkumulation‘, ‚Produktivität‘ ‚Fetischzusammenhang‘ und ‚Entwertung‘ widmen.
Eine digitale oder analoge Ausgabe Marx Kapitals (Band 1- 3) ist zum Workshop mitzubringen.

Miriam Dietenberger studierte Soziologie und Romanistik in Frankfurt am Main. 2018 begann sie ein Studium der Instrumentalpädagogik Geige am Dr. Hoch’s Konservatorium und arbeitet zur Zeit als selbstständige Musikerin und Instrumentalpädagogin. Sie ist Initiatorin der Konzertreihe ‚Frauen der Musik – Komponistinnen im Portrait‘, innerhalb derer sie gesellschaftliche Themen künstlerisch vermittelt auf die Bühne bringt. Ihre Beschäftigung mit ‚Marxistischer Theorie‘, ‚Kritik des Antisemitismus‘ und ‚Kritischer Theorie‘ fand weitgehend außerhalb ihres Studiums und Lohnarbeit statt. Seit 2021 studiert sie Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt ‚Economics‘ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 5: Von Überausgebeuteten und ihren Kämpfen. Ein Plädoyer für eine marxistische Begriffs(weiter-)entwicklung (Janina Puder)

Findet gemeinsam mit Workshop 7 im Festsaal statt. Moderation Alexander Kern (IfS).

Wenn in der Öffentlichkeit von Überausbeutung gesprochen wird, was zwar selten, aber dennoch von Zeit zu Zeit passiert, dann meist, um auf die besonders schlechten, inhumanen Arbeits- und Lohnverhältnisse bestimmter Beschäftigungsgruppen aufmerksam zu machen. Ob moderne Sklaverei, Armut, Prekarität, Rassismus oder segmentierte Arbeitsmärkte: Diese Beschreibungen gelten als Indikatoren, um der Überausbeutungsproblematik Nachdruck zu verleihen. In diesem Kontext erhält der Ausdruck tendenziell eine moralische, ahistorische Wendung, ohne Rückbezug auf die analytischen Kategorien der marx’schen Ausbeutungs- und Arbeitswerttheorie zu nehmen. Werden die theoretischen Wurzeln der Diskussion um Überausbeutung jedoch ernstgenommen, dann muss der Begriff nicht nur historisch und materialistisch genauer bestimmt werden, es muss auch aus einer klassenspezifischen Perspektive gefragt werden, weshalb sich in einigen Produktionsstätten kapitalistischer Gesellschaften überausbeuterische Arbeitsverhältnisse verstetigen, währenddessen dies in anderen kaum denkbar erscheint. Der Vortrag macht es sich zur Aufgabe, Wegmarken für ein marxistisches Überausbeutungsverständnis abzustecken. Hierfür werden theoretische Querverbindungen zur Theorie der sozialen Reproduktion, der Weltsystem- bzw. Dependenzdebatte sowie zur Diskussion um vergeschlechtlichte und rassifizierte Ausbeutungsverhältnisse gezogen. Dabei argumentiere ich, dass Überausbeutungsverhältnisse (1.) diskriminierende Mechanismen als Hebel zur Entwertung der Arbeitskraft bestimmter Arbeitsgruppen beinhalten, und dass Überausbeutung (2.) eng mit der (Krisen-)Dynamik der erweiterten Reproduktion des Kapitals verknüpft ist. In seiner politischen Bedeutung soll der Begriff zudem auf Hürden und Potenziale klassenspezifischer Organisierungsprozesse eingehen. Anhand der Auseinandersetzung mit der Überausbeutung migrantischer Arbeitskräfte soll die These der Überausbeutung empirisch geprüft werden.

Janina Puder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen. In ihrer Dissertation hat sie zur Überausbeutung migrantischer Palmölarbeiter:innen in Südostasien geforscht. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. Arbeitsmigration, Kapitalismustheorie, Politische Ökologie, sozialökologische Transformation und soziale Klassen.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 6: Eine Therapie sozialer Probleme? Zur Praxis psychotherapeutischer Gesellschaftskritik und gesellschaftskritischer Psychotherapie (Sabine Flick, Ina Braune)

Die Psychotherapie hat sich in der Gegenwart zu einer der zentralen Sprachen entwickelt, mit Hilfe derer sich die Individuen selbst verstehen, interpretieren und auslegen. Allen psychotherapeutischen Ansätzen ist somit ein subjektwissenschaftlicher Zugang gemein, der sie zugleich zum methodischen Individualismus verdammt. Sie müssen zunächst an den persönlichen Leidenserfahrungen der Einzelnen ansetzen. Dabei geraten gesellschaftliche Verhältnisse aus dem Blick wie die Diskussionen kritischer Psychologie, feministischer Psychotherapie und Gemeindepsychiatrie seit langer Zeit skandalisieren. Dieses Verschwinden der Gesellschaft zeigt sich insbesondere beim Leiden an der Arbeit. Gleichzeitig zur gestiegenen Attraktivität psychotherapeutische Selbstverstehens lässt sich eine verschärfte Reorganisation der modernen Arbeitswelt beobachten, in der verstärkt auf die Subjektivität der Arbeitenden zugegriffen wird und durch Tendenzen der Prekarisierung neue Unsicherheiten erzeugt werden.
Diese Entwicklungen werden von einer Zunahme des subjektiven Erlebens von Erschöpfung und arbeitsbezogener psychischer Belastungen flankiert für deren Behandlung sich psychotherapeutische Einrichtungen und Fachkräfte zuständig machen. Tendenziell werden arbeitsbezogene Probleme, die im Workshop insbesondere in den Blick genommen werden, allerdings in der therapeutischen Praxis vernachlässigt, umgedeutet und unsichtbar gemacht. Dies wiederum lässt die Subjekte meist ohnmächtig zurück und verschärft die ohnehin bereits existente Tendenz zur Selbstbezichtigung und Selbstverantwortung. Es lässt sich also fragen, ob der Psychotherapie als eine »Behandlungsart des gegenwärtigen Krisenproblems« somit eine Tendenz zur Individualisierung struktureller Probleme innewohnt, vor allem stellt sich die Frage, wie man dieser Tendenz im Rahmen kritischer Psychotherapien womöglich entgegenwirken und somit individuelle Handlungsfähigkeit herstellen kann und ob dies wiederum aus einer emanzipatorischen Perspektive wünschenswert erscheint. Im Workshop werden wir diese Fragen diskutieren und Konzepte zur kritischen Analyse von psychotherapeutischer Praxis vorstellen. Dabei werden wir auch die Bedeutung von Ungleichheitskategorien wie Geschlecht und Klasse in den Blick nehmen. Zugleich wollen wir uns im Austausch mit den Teilnehmenden der Frage annähern, wie eine Psychotherapie aussähe, die individuelle Handlungsfähigkeit erweitert und kollektive Bewältigungsformen stärkt und ermöglicht. Dabei möchten wir an Aktualisierungen marxistischer Psychotherapien anknüpfen und sie jeweils auf ihre Chancen und Probleme hin diskutieren.

Sabine Flick ist Professorin für Geschlecht und Sexualität in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Fulda und langjähriges, assoziertes Mitglied am IfS. Flick leitet das DFG-Forschungsprojekt »Psychotherapeutische Behandlung arbeitsbezogenen Leidens in Deutschland«. Eines ihrer Forschungsinteressen liegt in den Verhandlungsweisen und Deutungen von Arbeit in der Psychotherapie. Ina Braune ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IfS in selbigem Forschungsprojekt. Sie studierte Psychologie (B.Sc.) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Soziologie (M.A.) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 7: Marxismen des Globalen Südens (Jakob Graf)

Findet gemeinsam mit Workshop 5 im Festsaal statt. Moderation Alexander Kern (IfS).

Im Gegensatz zum Glauben der Marx und viele Marxist*innen lange Zeit prägten, brachen die Revolutionen, die Marx‘ Konterfei an ihrer Spitze trugen, nicht in den industriellen Kernländern des Westens aus. Russland, China, Kuba und eine Reihe weiterer Länder, die sich dem Globalen Süden zurechnen lassen, erlebten im 20. Jahrhundert Revolutionen, die marxistisch geprägt waren. An Marx anschließendes Denken wurde damit eher außerhalb der Industrieländer und damit nicht dort, wo sich die Produktivkräfte am stärksten entwickelten, zur politischen Macht. Bauern und Bäuerinnen waren häufig eher Träger revolutionärer Bewegungen als Industriearbeiter*innen. All das hat Auswirkungen auf das marxistische Denken in Ländern des Globalen Südens. Die Themen, die sich dabei neu stellten, reichen von der Frage inwiefern „doppelt freie“ Lohnarbeit überhaupt notwendig ist für die kapitalistische Produktionsweise über die Frage nach dem Überleben nicht-kapitalistischer Produktionsweisen innerhalb des Kapitalismus bis hin zu Debatten um Imperialismus, ungleichen Tausch und globale Abhängigkeiten. Diese Themen stelle ich ins Zentrum meines Vortrags über »Marxismen des Südens« und möchte dazu beitragen, unser Verständnis der »Kritik der politischen Ökonomie« zu dezentrieren, das heißt, sie nicht mehr allein von den Zentren aus zu denken.

Jakob Graf promoviert zu sozial-ökologischen Konflikten, Extraktivismus und Forstindustrie in Chile und ist Redakteur der Zeitschrift PROKLA.

 

Samstag, 14.00 bis 15.30 Uhr

Kritik und Handgemenge. Über Rassismus, Antisemitismus und Debattenkultur. [Keine vorherige Anmeldung erforderlich.]

Mit Floris Biskamp und Matti Traußneck.

Seit einigen Jahren ist ein paradoxes Phänomen zu beobachten: Auf der einen Seite sind sich diesseits der äußersten Rechten fast alle darüber einig, dass sowohl Antisemitismus als auch Rassismus bekämpft werden müssen. Auf der anderen Seite kommt es mit großer Regelmäßigkeit zu polemisch ausgetragenen Konflikten zwischen Antisemitismuskritiker:innen und Rassismuskritiker:innen, die sich wechselseitig als antisemitisch und rassistisch kritisieren.

Solcher Streit bricht insbesondere dann aus, wenn es um die Erinnerung an und das Verhältnis zwischen Shoah und Kolonialismus, um den Nahostkonflikt oder um Islam und Islamismus geht. Auf der großen Bühne geschah dies zuletzt in der Mbembe-Debatte, im „Historikerstreit 2.0“ und den Diskussionen um die documenta fifteen. Im kleinen Rahmen geschieht es immer wieder, wenn z.B. an Universitäten in Politgruppen und in linken Räumen Veranstaltungen durchgeführt werden sollen.

Im Workshop wird es zum einen darum gehen, nachvollziehbar zu machen, warum es immer wieder zu solchen Konflikten kommt: Worin bestehen die historischen Hintergründe und welche unterschiedlichen Verständnisse von Gesellschaftskritik und ihrer Ziele sind es, die da aufeinanderprallen? Zum anderen wollen wir gemeinsam darüber reflektieren, was ein angemessener Umgang mit solchen radikalen Differenzen und Konflikten ist: Wie können wir es verstehen, dass Menschen, die sich in der abstrakten Zielsetzung einig sind, dass alle Menschen frei und gleich leben können, sich gegenseitig als antisemitisch oder rassistisch delegitimieren? Und wie verstellt die moralische Aufladung der Gegenstände der Auseinandersetzung (Rassismus und Antisemitismus) deren Verfasstheit als gesellschaftliche Verhältnisse (und damit uns allen inhärenten Wissenskomplexen)? Wie intervenieren wir in eine Debatte, die regelmäßig von allen Seiten aus in genau jenem identitätspolitischen Spiegelgefecht versandet, das es kritisch zu durchdringen gilt?

Der Workshop richtet sich sowohl an diejenigen, für die diese Konflikte relativ neu sind, als auch an diejenigen, die bereits langjährige Erfahrungen mit ihnen haben, aber immer noch bereit sind zu diskutieren.

Matti Traußneck ist Politik- und Literaturwissenschaftlerin an der Philipps Universität Marburg. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Antisemitismus, Kolonialität und die Kategorie der Rasse in der Moderne.

Floris Biskamp ist Politikwissenschaftler und Soziologe und derzeit stellvertretender Projektleiter im Forschungsprojekt EZRA: Rassismus und Antisemitismus erinnern an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Darüber hinaus ist er Postdoc im Promotionskolleg Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität an der Universität Tübingen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen politische Theorie, politische Ökonomie, politische Bildung, Populismusforschung und Rassismusforschung.

Samstag, 15.30 bis 17.00 Uhr

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 8: Der Zeitkern der materialistischen Kritik (Jan Rickermann, Anna-Sophie Schönfelder, Matthias Spekker)

Die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie gilt als umfassende Analyse der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Gilt sie den einen damit als die wissenschaftliche Bestimmung des weiteren Geschichtsverlaufs hin zum Sozialismus, macht den anderen zufolge gerade die systematische Trennung der theoretischen Argumentation des Kapital von jeglichem revolutionstheoretischen Ballast den wissenschaftlichen Kern von Marx’ Hauptwerk aus. Aus völlig konträren Gründen bleibt so beiden Sichtweisen die Marx’ sche Kritik vom weiteren Verlauf der Geschichte unberührt und damit sakrosankt. Das Scheitern aller historischen Versuche einer vernünftigen Aufhebung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse (bis hin zu ihrem Umschlag in menschenverachtende Diktaturen), die Kulmination der ökonomischen und politischen Entwicklung spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht hin zur Befreiung, sondern zur totalen Barbarei durch Faschismus und das nationalsozialistische Projekt der Massenvernichtung, die nahezu völlige Abschließung der spätkapitalistischen Verhältnisse gegen die Möglichkeit ihrer Transzendierung: Dass von all dem die Wahrheit der Marx’schen Kritik tangiert sein könnte, wird nicht nur bezweifelt, sondern komplett verdrängt. Dabei wird jedoch nur allzu gerne übersehen, dass die Marx’sche Kritik der bürgerlichen Gesellschaft selbst aufs Engste mit der (Denk-)Möglichkeit ihrer Revolutionierung einherging. Es sind keineswegs nur die oft als bloß irritierendes ideologisches Beiwerk verworfenen Passagen etwa aus den Vor- und Nachwörtern oder dem 24. Kapitel des Kapital, die davon zeugen, wie bei Marx materialistische Kritik und der reale Verlauf der Geschichte miteinander unauflösbar verwoben sind, ja wie von letzterem die objektive Möglichkeit einer solchen Kritik abhängt. Entsprechend gilt es in diesem Workshop herauszuarbeiten, wie es um den Zeitkern der Wahrheit des historischen Materialismus und dessen Krise angesichts von Verhältnissen steht, die ihm objektiv nicht mehr entgegenkommen. Wie drückt sich der historische Materialismus in der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie aus, warum fällt ihr epistemischer Zusammenhang mit der revolutionären Perspektive Marxens bei dessen Nachfolgern notwendig auseinander, und was bedeutet das für die Möglichkeit materialistischer Kritik?

Jan Rickermann forscht zur Kritischen Theorie und Kritik des Politischen Existentialismus. Er hat Sozialwissenschaften und Philosophie studiert, lebt in Bremen und arbeitet an einer Dissertation über den Politischen Existentialismus bei Giorgio Agamben. Anna-Sophie Schönfelder ist Politikwissenschaftlerin. Forschungen zu Hannah Arendt, zu Karl Marxʼ journalistischen Schriften, zur Geschichte des bürgerlichen und autoritären Staates sowie zur Kritik der politischen Ökonomie. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen im DFG-Forschungsprojekt „Zwischen Minderheitenschutz und Versicherheitlichung: Die Herausbildung der Roma-Minderheit in der modernen europäischen Geschichte“. Von 2014 bis 2019 arbeitete sie an der Universität Osnabrück auf dem Gebiet der Marxforschung. Matthias Spekker, Fachgebiet Politische Theorie und Ideengeschichte, forscht insb. zum Werk von Karl Marx und zur Kritischen Theorie. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Marx und die ‚Kritik im Handgemenge‘ – Zu einer Genealogie moderner Gesellschaftskritik“ (Universität Osnabrück), lebt in Hamburg und arbeitet als Jugendbildungsreferent.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 9: Werkstattgespräch Kritische Analysen der rechten Verschwörungsszene (Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien)

Seit Beginn der Corona-Pandemie bildete sich eine verschwörungsideologisch geprägte, rechtsoffene Mischszene aus, die schnell wuchs: Sie wird mitunter (aber etwas ungenau) als Querdenken-Bewegung bezeichnet. Ursprünglich als »Ein-Punkt-Bewegung« zur Kritik an staatlicher Pandemiebekämpfungspolitik gestartet, so werden inzwischen die unterschiedlichsten Themen im Rahmen der Proteste der Szene verhandelt, etwa Energiekrise, Ukraine-Krieg, und ähnliches. Dabei steht außer Frage, dass die Wurzeln der Szene bereits weiter zurückgehen: Jede rechte Bewegung ist auch verschwörungsideologisch unterfüttert, und insbesondere mit den »Friedensmahnwachen« nach 2014, der »Pegida«-Bewegung, der deutschsprachigen »Gelbwesten«-Bewegung und ähnlichen rechten oder rechtsoffenen Mischszenen.
Verschwörungsideologien sind stets von einem antisemitischen Grundrauschen durchzogen. Das Aufkommen der rechten Verschwörungsszene verhalf auch zahlreichen Analysen der Kritischen Theorie zu einer Renaissance in den Feuilletons: So kursieren Deutungen der Szene u.a. als »konformistische Rebellion«, als »Massenpsychose«, als Ansammlung »autoritärer Charaktere« oder »falscher Propheten«, oder als »libertärer Autoritarismus«. Tatsächlich bieten diese Analysen zahlreiche Aspekte, die für ein Verständnis der rechten Verschwörungsszene relevant sind, und offenbaren mitunter gar frappierende Parallelen. Anhand empirischer Beispiele und Befunde von derzeit stattfindenden Demonstrationen, Beiträgen und Texten aus der rechten Verschwörungsszene soll im Workshop diskutiert werden, was eine kritische Analyse dieser Szene leisten muss, und welche Perspektiven sich für wissenschaftliche, journalistische und aktivistische Praxis daraus ergeben.

Die Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien ist eine antifaschistische Recherche-Initiative, die seit 2020 zur rechten Verschwörungsszene in Frankfurt und dem Umland arbeitet. Seitdem haben die Aktiven der Initiative mehrere Broschüren und dutzende Artikel publiziert sowie eine Reihe von Vorträgen gehalten.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 10: Wertabspaltung, Weißsein der Finanzmärkte und Dekolonialität (Altaira Caldarella, María Eugenia Céspedes Giménez) [Dieser Workshop ist nur für FLINTA*-Personen geöffnet.]

Für wertkritische Theoretiker*innen ist die Analyse des Werts, der für sie die treibende Kraft der Kapitalbewegung darstellt, als zentral für jede Kapitalismuskritik anzusehen. Obgleich die Wertkritik eine seit den 1970er Jahren etablierte Tradition marxistischer Theoriebildung ist, wird ihre Kapitalismusanalyse besonders denjenigen Fragen nicht gerecht, die von Theoriebildungsprozessen im Kontext dekolonialer, antirassistischer, feministischer und antikapitalistischer politischer Praxis aufgeworfen werden. Nimmt man sowohl diese Einwände als auch die Kritiker*innen, die diese hervorbringen, ernst, so muss ein kritischer Gesellschaftsbegriff moderner kapitalistischen Verhältnisse die fortlaufenden Herrschaftsprozesse, die vermittelt durch – aber auch jenseits – der Ausbeutung innerhalb der Wertsphäre stattfinden, mit in den Blick nehmen. Hier zu berücksichtigen wären beispielsweise die Kritiken der marxistischen Philosophin Montserrat Galcerán Huguet (2016), die in ihrem „La bárbara Europa“ die eurozentrischen Vorurteile untersucht, die in Marx‘ Analysen der imperialen Kolonialfrage eingesetzt werden. Um mit dem westlich zentrierten Erbe des Sozialismus als kritischer europäischer Tradition in Kontakt zu treten, erweitert sie dessen Analyse in Bezug auf die Hierarchien der Kolonialmacht. Oder aber Roswitha Scholz, die in ihrem Geschlecht des Kapitalismus (2000) ihre Theorie der Wertabspaltung einführt, um die vom Wert angetriebene Bewegung des Kapitals im Zusammenhang mit demjenigen zu begreifen, was sich nur scheinbar seiner eigenen Verwertung entzieht: die vielfältigen Weisen, durch die reproduktive Tätigkeiten als feminisierte Nicht-Arbeit oder bloße Ware gebrandmarkt und von der Wertsphäre abgespalten werden.

Diese Zugänge verdeutlichen, inwiefern Kolonialität und das Patriarchat historisch mit dem Kapitalismus verwoben sind, und sich auch heute noch darin niederschlagen, wie die prozesshafte Selbstvalorisierung des Werts ihre eigenen Grundlagen im selben Atemzug sowohl untergräbt und als auch erhält. In diesen Prozessen der Selbstverwertung werden Ausbeutung und Überausbeutung von Menschen durch eine sich verselbstständigende Form abstrakter Herrschaft sichergestellt und entlang einer durch Differenzkategorien wie race, class und gender vermittelten globalen Arbeitsteilung ungleich verteilt, indem u.A. Hierarchien naturalisiert, territoriale und epistemische Herrschaftsverhältnisse reproduziert, und das Wissen, die Erfahrungen und die Lebensweisen derer, die auf diese Weise beherrscht und ausgebeutet werden, delegitimiert werden (Restrepo 2007). Auf der Gegenseite dessen finden wir, dass die Kontinuitäten patriarchaler Kolonialität im Kapitalismus habituelle Konstruktionen von Weißsein und männlich sein hervorbringen, die es erlauben, Macht in asymmetrischen Beziehungsgefügen auszuüben, die in der patriarchalen Kolonialität der Macht, des Wissens und des Seins zusammenlaufen.

In einer Kritik der politischen Ökonomie, die globale Herrschaftsverhältnisse heute in den Blick nehmen möchte, darf eine Kritik dessen unserer Ansicht nach nicht ausbleiben. In diesem Zusammenhang stellen z.B. die technischen Werkzeuge der Finanzwirtschaft keine neutralen, von rein ökonomischen und rechtlichen Sachzwängen hervorgebrachte Instrumentarien dar. Sie erwachsen aus multidimensionalen, historisch gewachsenen Unterdrückungs- und Machtverhältnissen, deren Analyse wir uns im Workshop in der Konkretion – anhand eines konkreten Falles von Immobilienspekulation in Mexico City – näher zuwenden möchten. Dies stellt den Versuch dar, eine kritische Sprache für solche Phänomene zu finden, die nicht in strukturell antisemitische und personalisierende Projektionen abstrakter Herrschaft verfällt, sondern Wert, abstrakte Arbeit, Geld und Abspaltung als Vermittlungskategorien dieser sich verselbstständigenden Herrschaftsformen ernst nimmt.

Um zu ersehen, wie die werttheoretische Kapitalismuskritik um ein Verständnis der kolonialen und vergeschlechtlichten Formen abstrakter Herrschaft erweitert werden kann, werden im Workshop zunächst kurze Reflexionen hierzu vorgestellt. Daraufhin soll ein partizipativer Raum geschaffen werden, um aus einer dekolonialen Perspektive die Dimensionen des weißseins sowie patriarchaler Macht im Kapitalismus erfahrungsorientiert zu besprechen. Hiermit möchten wir in Anlehnung an die feministischen consciousness raising Praktiken der 70er Jahre erproben, die Zusammenhänge dieser abstrakt wirkenden Mechanismen der patriarchalen Kolonialität von Wertbildungsprozessen anhand unserer und der gelebten Erfahrungen der Teilnehmer*innen gemeinsam zu entfalten.

Dieser Workshop ist nur für FLINTA-Personen geöffnet. Es soll hiermit der Raum geboten werden, sich in einer gemeinsamen Suchbewegung und in vulnerabler Weise mit marxistischen Fragen zu beschäftigen. Gerade FLINTA-Personen mit wenig oder auch ganz ohne (!) Vorkenntnisse marxistischer Theoriebildung sind herzlich eingeladen.

Altaira Caldarella studiert im Master Politische Theorie an der Goethe-Universität Frankfurt und schreibt derzeit ihre Masterarbeit bei Prof.in Sarah Speck und Prof.in Nancy Fraser zu einem materialistisch feministischen Bedürfnisbegriff. In ihrem Studium beschäftigt sie sich besonders mit kritischer, psychoanalytischer, feministischer, sowie post- und dekolonialer Theoriebildung. Zuvor studierte sie Philosophie und Gender Studies in Frankfurt und verbrachte Studienaufenthalte an der New School for Social Research, der Università di Bologna sowie der Doshisha University in Kyoto. Außerhalb der Universität ist sie in der Lokalpolitik Frankfurts als Ortsbeirätin für ÖkolinX-ARL im Ortsbezirk 2 (Bockenheim/Kuhwaldsiedlung und Westend) aktiv.

María Eugenia Céspedes Giménez (Eugenia Winter) arbeitet seit dem Wintersemester 2019 als freie Dozentin am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Bis 2021 war sie dort als Doktorandin tätig. In 2015 absolvierte sie den Master of Arts in Geographien der Globalisierung in derselben Institution. Sie befasst sich unter anderem mit folgenden Themen, welche sie als zusammenhängend und nicht als getrennt betrachtet: Immobilienbewertung in urbanen Räumen, „Technologien“- Accounting und Bewertung, ihre (privaten/staatlichen) Regulationsstrukturen und Finanzialisierungsprozesse, Biographie und Materialität, Dekoloniale Epistemologie und Institutioneller/Struktureller Rassismus, Geschichte und Kontinuität: Whitening (Blanqueamiento), Kolonialität und Critical Whiteness. Die Erfahrungen in ihrem Geburtsland Paraguay, an verschiedenen Orten und seit 15 Jahren in Deutschland zeigen ihr einerseits, wie wunderbar der Reichtum an Wissen/Erfahrungen und Beziehungen sein könnte. Andererseits erlebt sie, wie viele andere auch, die Auswirkungen der Aufrechterhaltung von Machthierarchien (die häufige konstruierte Illusion der (politischen) Teilhabe und die Entleerung der Radikalität von Konzepten und deren Zielen für die Aufrechterhaltung einer weißen, patriarchalischen, kapitalistischen und eurozentrischen Machtstruktur).

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 11: Abolitionismus (Vanessa Thompson)

Vor dem Hintergrund des karzeralen gesellschaftlichen Wandels und der globalen Proteste für schwarze Leben im Jahre 2020 haben abolitionistische Ansätze auch hierzulande an Aufmerksamkeit gewonnen. Abolitionismus bezeichnet sowohl einen theoretischen Ansatz als auch eine politische und soziale Bewegung, die sich für die Überwindung staatlicher Gewaltinstitutionen wie Gefängnis und Polizei als Methoden des racial capitalism, und damit auch für die Überwindung des Kapitalismus und seinen rassifizierten und vergeschlechtlichten Operationsweisen und Gewaltformen einsetzt. Zugleich betonen Abolitionist*innen die Rolle von präfigurativen Praktiken im Rahmen dieser radikalen Transformation. Der Workshop führt in einem ersten Teil in die Geschichte, zentrale Theoreme (z.B. racial capitalism, Karzeralität, surplus) und Gegenstände (z.B. Polizei, Grenzen) des Abolitionismus ein. In dem zweiten Teil des Workshops werden wir auf Grundlage von gemeinsamer Diskussion mögliche Leerstellen sowie Potentiale abolitionistischer Ansätze für radikale gesellschaftstheoretische Positionen ausloten und diskutieren. Die Texte zur Vorbereitung erhalten die Teilnehmenden nach Anmeldung.

Vanessa E. Thompson ist Distinguished Professor in Black Studies und Social Justice und Assistant Professor an der Queen's University, Kanada.
Ihr Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen im Bereich der Black Studies, anti-kolonialen Theorien und Methodologien, kritischen Rassismus- und Migrationsforschung sowie staatlicher Gewalt und abolitionistischen Gesellschaftstheorien. Sie ist unter anderem aktiv in transnationalen abolitionistisch-feministischen Bewegungen, Mitglied der Unabhängigen Internationalen Kommission zur Aufklärung des Todes von Oury Jalloh und Teil des Herausgeber*innenkollektivs Kitchen Politics. Zuletzt erschienen: Abolitionismus. Ein Reader (gemeinsam mit Daniel Loick, 2022, Suhrkamp) und Schwarze Feminismen (gemeinsam mit Denise Bergold-Caldwell und Christine Löw, 2021, Femina Politica).

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 12: Widerständiges Wissen: Kritische Theorie & Arbeitskämpfe im Krankenhaus (Robin Mohan, Lena Reichardt, Nadja Rakowitz)

Bezug nehmend auf die Genese der Kritischen Theorie aus den politischen Auseinandersetzungen innerhalb der marxistischen Arbeiter:innenbewegung stellt der Workshop die Frage in den Mittelpunkt, wie gegenwärtig eine Wissensproduktion erfolgen kann, die es vermag, eine Verklammerung von konkreten Kämpfen und Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse zu leisten. Dabei geht es auch darum, der emanzipatorischen Aufgabe Kritischer Theorie gerecht zu werden: Sie zielt „nirgends bloß auf Vermehrung des Wissens als solchen ab, sondern auf die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen“ (Horkheimer GS 4, 219). Möglichkeiten einer solchen Verklammerung werden im Workshop am Beispiel der Streikbewegungen im Gesundheitswesen gewählt. Dort formiert sich seit Jahren ein Kampf, der sich gegen Wertakkumulation und die profitförmige Reorganisation von Krankenhäusern richtet und einen zentralen Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft tangiert. Der Kapitalismus beruht auf Bedingungen – hier soziale Reproduktionsarbeit – die systematisch abgewertet und untergraben werden. Im Workshop soll diskutiert werden, wie eine Kritische Theorie der Gesellschaft jene Kontexte in den Blick nehmen kann, an denen dieser Widerspruch in der Arbeitswelt von Beschäftigten in Krankenhäusern aufbricht und erfahrbar wird, um nichts weniger als die darin enthaltenden emanzipatorischen Potenziale aufzuzeigen und zu stärken.

Robin Mohan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung. Er promovierte an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. zum Thema der Ökonomisierung der Krankenhäuser. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich (kritische) Gesellschaftstheorie, Kritik der politischen Ökonomie, qualitative Sozialforschung, Arbeitssoziologie, Soziologie des Krankenhauses und Soziologie der Pflege. Lena Reichardt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung. Dort liegen ihre Arbeitsschwerpunkte auf Kritischer Gesellschaftstheorie, politischer Ökonomie der Sorge, Arbeits- und Geschlechtersoziologie sowie qualitativer empirischer Sozialforschung. Nadja Rakowitz, *1966 in Aschaffenburg, Promotion an der Universität Frankfurt/M zum Thema „Einfache Warenproduktion – Ideal und Ideologie“, seit Anfang der 1990er Jahre bis heute Bildungsarbeit ÖTV/ver.di, 2001-2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Soziologie in Frankfurt/M, von 2006 bis 2018 Redakteurin bei „express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, seit 2006 Geschäftsführerin des Vereins demokratischer Ärzt*innen, aktiv im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, seit 2012-2022 Bildungsarbeit bei Arbeit & Leben/VHS Frankfurt/Main, seit 2021 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Rosa Luxemburg Stiftung.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 13: Unbegrenzte Phantasien: Triebstruktur und neoliberale Gesellschaft (Heiko Stubenrauch)

Stellte für Freud noch die Verinnerlichung der begrenzenden Elternautorität das Schlüsselmoment bürgerlich Subjektivierung dar, sah bereits die erste Generation der Frankfurter Schule – vor allem Marcuse, Horkheimer und Adorno – ein Ende dieser Internalisierung erreicht. Die Massen im Monopolkapitalismus würden weniger vermittels internalisierter Begrenzungen regiert, als vielmehr direkt von gesellschaftlichen Institutionen (u.a. durch die kontrollierte Triebbefriedigung des Massenkonsums) gesteuert. Diese Diagnose ist meines Erachtens zu aktualisieren und zu radikalisieren, insofern im Neoliberalismus die Internalisierung von Begrenzungen nicht nur ihr Ende erreicht, sondern sich in ihr Gegenteil zu verkehren scheint, reproduziert sich der Neoliberalismus doch zunehmend, indem er Phantasien der Grenzenlosigkeit evoziert, in deren Schatten existierende Grenzen immer schwerer wahrnehmbar oder angreifbar werden: So wird postfordistische Arbeit häufig von Phantasien eines grenzenlosen Könnens angetrieben, die, vor allem als gekränkte, zu blinder Selbstoptimierung anstacheln. Phantasien eines unbegrenzten Genusses feuern hingegen den neoliberalen Konsum an. Zugleich entwickelt sich ein libertärer Autoritarismus, der die Phantasie einer unbegrenzten Freiheit zur Forderung erhebt. Die Frage, wie die freudomarxistischen Gesellschaftsanalysen aktualisiert werden können, solle im Workshop ebenso diskutiert werden, wie die Frage nach der Aktualität der freudomarxistischen Utopien: Welchen Stellenwert haben die Rufe nach Triebbefreiung im Neoliberalismus und im Schatten einer sich verschärfenden Klimakrise? Wurden diese Utopien angeeignet bzw. sind sie veraltet? Lassen sie sich erneuern?

Heiko Stubenrauch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) am Lehrstuhl für Kontinentalphilosophie (Prof. Dr. Roberto Nigro) an der Leuphana Universität Lüneburg. Zuvor war er Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs Kulturen der Kritik und wurde 2021 mit einer Arbeit zum Zusammenhang von Affekt und Kritik bei Kant, Adorno und Deleuze promoviert. Gegenwärtig forscht er zur Aktualisierung des Freudomarxismus im Neoliberalismus und zu Rassismus und Antisemitismus in der Geschichtsphilosophie.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 14: Kapitalistische Krise und zeitgenössische kritische Theorie. Erfahrungen aus Lateinamerika (Santiago M. Roggerone, Agustín Lucas Prestifilippo, Ricardo Pagliuso Regatieri)

Es besteht heute eine Art Konsens darüber, dass die Kritische Theorie der Gesellschaft in ihrer langen Entwicklung konstitutiven Dimensionen des Kapitalismus wie dem Kolonialismus oder der imperialistischen Herrschaft den Rücken gekehrt hat. Obwohl es in jüngster Zeit eine Tendenz zur Analyse des »(post)kolonialen Unbewussten« der Frankfurter Schule gegeben hat, wurde die besondere Verbindung, die sie im Laufe ihrer Geschichte mit einer peripheren Realität wie Lateinamerika aufrechterhalten hat, nicht besonders beachtet. Ausgehend von der Überzeugung, dass eine systematische Betrachtung dieses Zusammenhangs für jedes theoretisch-kritische Projekt von hoher Relevanz ist, will der geplante Workshop das genannte Defizit durch eine aktuelle Diskussion der vielfältigen Facetten dieses Zusammenhangs beheben. Es ist keine bloße Anekdote, dass die Mittel für die Gründung des Instituts aus den außerordentlichen Agrareinnahmen in Argentinien stammten, d. h. aus dem Mehrwert, der sich aus dem extraktivistischen Agrobusiness der Familie Weil in diesem Land ergab. Für die Gegenwart und Zukunft der Kritischen Theorie ist es von entscheidender Bedeutung, über die externalisierten Kosten der fraglichen Denktradition nachzudenken, über die paradoxe Komplizenschaft, die sie mit den Bedingungen sozialer Ungerechtigkeit verbindet, die sie in Frage zu stellen vorgibt, sowie über die spezifischere internationale geistige Arbeitsteilung, nach der die kapitalistischen Zentren für die Produktion der Theorie und die Peripherien für ihre unkritische Rezeption und Umsetzung verantwortlich sind.
Präsentationen: a) »Der rätselhafte Félix J. Weil und die bestehenden Missverständnisse zwischen der Kritischen Theorie der Gesellschaft und der lateinamerikanischen Realität« (Roggerone); b) »Gino Germani und die Widersprüche der Umschreibung von Studies in Prejudice« (Prestifilippo); c) »Von der Kritik der instrumentellen Vernunft zur Kritik der kolonialen Vernunft« (Pagliuso Regatieri).

Santiago M. Roggerone: Doktor der Sozialwissenschaften an der Universität von Buenos Aires. CONICET-Forscher am Zentrum für Geistesgeschichte der Nationalen Universität von Quilmes. Professor an der Universidad Nacional del Chaco Austral und Leiterin der praktischen Arbeit an der Universidad de Buenos Aires. Agustín Lucas Prestifilippo: Doktor der Sozialwissenschaften an der Universität von Buenos Aires. CONICET-Forscher am Forschungsinstitut Gino Germani der Universität Buenos Aires. Professor an der Nationalen Universität von Luján und Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Buenos Aires. Ricardo Pagliuso Regatieri: Professor für Soziologie an der Bundesuniversität von Bahia und Forschungsleiter des Forschungszentrums für Sozialtheorien, Modernitäten und Kolonialitäten PERIFÉRICAS.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 15: Kritik des gegenwärtigen Krisenbegriffs. Teil 1 (Hans-Georg Bensch, Michael Städtler)

Krisen haben für die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft eine ambivalente Bedeutung: Ihre schmerzhaften Auswirkungen erregen Protest, aber sorgen auch dafür, dass dieser sich auf die Krise und deren vermeintliche unmittelbare Ursachen (z.B. Fehlverhalten von Spekulanten, Bankiers oder Staatsführungen) beschränkt. Damit regen sie eine Kritik am Kapitalismus an, aber eine, die nicht den Kapitalismus als solchen begreift und kritisiert. Die Strukturen kapitalistischer Gesellschaften sind in hohem Maße von Prinzipien abhängig, die anonym und indirekt wirken. Sie sind keine Gegenstände der Erfahrung, sondern können nur durch Denken, durch theoretische Reflexion von Erfahrungen erkannt werden. Begründete Kritik muss darauf aufbauen und die in gesellschaftlichen Strukturen institutionalisierten Zwecke in den Blick nehmen. Krisen (Produktions- Finanz-, Klima-, Umweltkrisen etc.) erzeugen den Anschein, ein unmittelbares Objekt der Kritik zu sein. Damit erzeugen sie Krisen, im Sinne von Konfusion, in der Theorie und der Kritik. Dieser Befund gilt analog für empirische Gerechtigkeitsdefizite, sog. ‚soziale Pathologien‘, aber auch für die Stoßrichtung mancher neuen sozialen Bewegungen. Der Workshop thematisiert notwendige Elemente theoretischer Kritik, die Notwendigkeit solcher Kritik überhaupt als Voraussetzung einer sinnvollen Praxis sowie auch das Problem der Theoriefeindlichkeit. Es geht also um die Vergegenwärtigung kritischer Theorie. Das Problem soll durch die gemeinsame Lektüre kurzer Textpassagen (vor allem aus: Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1-3) erarbeitet werden.

Hans-Georg Bensch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie in Oldenburg und Autor mehrerer Veröffentlichungen zur Kritik der politischen Ökonomie, u.a. „Vom Reichtum der Gesellschaften“. apl. Prof. Michael Städtler ist Leiter des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts Hannover/Peter-Bulthaup-Archiv und betreut eine Nachwuchsgruppe in dem BMBF- geförderten Projekt "Kohärenz in der Lehrerbildung" an der Bergischen Universität Wuppertal.

Sonntag, 11.00 bis 12.30 Uhr

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 16: Kritische Theorie und Marxismus – oder: Wie kritisiert man die klassenlose Klassengesellschaft? Teil 1 (Helen Akin, Jonas Balzer, Dirk Braunstein, Jorin vom Bruch)

Dass eine Kritische Theorie ohne den Bezug auf Marx schlicht nicht zu denken ist und dies auch für die sogenannte erste Generation nie an Gültigkeit verloren hat, wollen wir im Workshop in einigen Schlaglichtern beleuchten. Wir konzentrieren uns dabei auf den Klassenbegriff, als zentralem Skandalon der marxschen Kapitalismuskritik. Gemeinsam werden wir nachvollziehen, wie der Horkheimer-Kreis den Klassenbegriff aufgenommen und weiterentwickelt hat. Dazu werden wir zunächst zwei Momente der Theoriegeschichte des Horkheimer-Kreises näher in Betracht nehmen. Zunächst die Reflexionen zur Klassentheorie, welche von den Frankfurtern in den frühen 40er Jahren unternommen wurden – dazu lesen und diskutieren wir als primären Text Horkheimers Zur Soziologie der Klassenverhältnisse (1943). Unsere diesbezügliche These lautet: In den Augen der Frankfurter entwickelt sich der Kapitalismus im 20. Jahrhundert zur „klassenlosen Klassengesellschaft“. Dann werden wir danach fragen, wie der so (re-)formulierte Klassenbegriff später dazu gebraucht wurde, um soziale Konflikte im Spätkapitalismus verständlich zu machen. Dazu lesen wir Adornos Text Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute (1968). Das mit dem Workshop verknüpfte Ansinnen, ist allerdings keineswegs bloß theoriegeschichtlich. Vielmehr sollen die beiden zunächst betrachteten historischen Stationen die Frage nach der Aktualität des Begriffs der klassenlosen Klassengesellschaft für die Kritik der neoliberalen oder heute vielleicht post-neoliberale Gegenwart der kapitalistischen Gesellschaft vorbereiten. An verschiedenen Beispielen von Protestbewegungen wie den Gelbwesten in Frankreich (vgl. vom Bruch 2021) und biografischen Beschreibungen der Erfahrung des Klassenkonfliktes wie denen von Didier Eribon und Annie Ernaux wollen wir die Übertragbarkeit des Begriffs der klassenlosen Klassengesellschaft diskutieren.

Der Workshop ist für 2x90 min geplant. In der ersten Sitzung erarbeiten wir gemeinsam den Begriff der klassenlosen Klassengesellschaft, in der zweiten Sitzung diskutieren wir dessen Übertragbarkeit. Pflichtlektüre 1. Sitzung: Max Horkheimer (1943): Zur Soziologie der Klassenverhältnisse, in HGS 12: 75-104 und Theodor W. Adorno (1968): Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, in AGS 8: 177-195. Pflichtlektüre 2. Sitzung: Jorin vom Bruch (2021): Die Gilets Jaunes: Ein symptomatischer Konflikt in einer ‚Klassengesellschaft ohne Klassen‘, in Momentum Quarterly Vol. 10, No. 4, 223-236 und tba. Zusatz 1. Sitzung: T.W. Adorno (1942): Reflexionen zur Klassentheorie, in AGS 8: 373-391. T.W. Adorno (1968): Spätkapitalismus oder Industriegesellschaf?, in AGS 8: 354-370. Zusatz 2.Sitzung: Klaus Dörre (2020): In der Warteschlange: Arbeiter*innen und die radikale Rechte, Münster: Westfälisches Dampfboot, 15-42. tba.

Helen Akin promoviert zum Thema "Dialektik der Entfremdung" und arbeitet derzeit am Institut für Philosophie der FSU Jena sowie am Institut für Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig. Jonas Balzer promoviert an der Universität Leipzig und der HFG-Offenbach zum Thema "Bedürfnis und (Un-)Freiheit. Zur normativen Semantik des Mangels in Theorien sozialer Freiheit". Dirk Braunstein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main und Leiter des Institutsarchivs. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kritische Theorie, Kulturindustrie und das Verhältnis von Philosophie und Soziologie. Jorin vom Bruch ist Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Jena und promoviert zu Arbeitskonflikten im Dienstleistungssektor.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 17: Moishe Postone und die Weiterführung der Kritischen Theorie (Nick Gietinger)

Im Schatten des Aktivismus der 70er Jahre entstand in Frankfurt eine theoretische Tradition, die Marx' Werttheorie in den Fokus rückte. Einer dieser Theoretiker war Moishe Postone. Seine Lesart von Marx fokussierte sich auf die »abstrakte Herrschaft« der Arbeit im Kapitalismus und kritisierte den orthodoxen Marxismus dafür, den zentralen Widerspruch des Kapitalismus vor allem zwischen den Klassen zu sehen. Mit seiner originellen Lesart von Marx kritisierte Postone sowohl den traditionellen Marxismus als auch poststrukturalistische Theorieansätze. Zentral war, und damit blieb er der Frankfurter Schule treu, das Festhalten am Widerspruch der kapitalistischen Totalität, welcher über den Klassenwiderspruch hinausgeht. Laut Postone führe der Fokus auf den Klassenkampf zu einer Affirmation der Arbeit. Sein emanzipatorischer Anspruch zielt jedoch auf die Abschaffung der Arbeit. Im Workshop sollen die zentralen Begriffe und Argumente aus Postones Hauptwerk Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft (1993) dargelegt werden. Dabei soll auch sein Bezug auf die Kritische Theorie der Frankfurter Schule und die Kritik an ihrer gegenwärtigen Weiterführung diskutiert werden.

Nick Gietinger hat sich ausführlich mit Postones Theorie beschäftigt. Er ist Mitglied der Gruppe Krisis und schreibt regelmäßig für die Zeitschrift Disposable Times. Moderation: Finn Gölitzer (AStA-FfM).

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 18: Interdisziplinäre Gesellschaftskritik ohne Ökonomiekritik Fragezeichen (Ingo Stützle)

»Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen« formulierte Max Horkheimer pointiert am Vorabend des Zweiten Weltkriegs die Perspektive, dass es eine interdisziplinäre Analyse der modernen bürgerlichen Gesellschaft geben müsse, um den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krise einerseits und autoritärer Formierung und Faschismus andererseits zu verstehen. Obwohl allen irgendwie klar war und auch heute noch ist, dass Politische Ökonomie ein zentrales Feld kritischer Theorie sein müsste, machen viele einen Bogen um das Feld, kritisieren es »von außen«, statt das zu machen, was Marx uns vorgemacht hat: eine Kritik der Politischen Ökonomie. Zwar war mit Friedrich Pollock ein Ökonom geschäftsführend, Ökonomiekritik stand jedoch nicht im Zentrum der Arbeit des Instituts. Im engeren Sinn Ökonomen waren: Kurt Albert Gerlach, gestorben bevor er zum Direktor ernannt werden konnte, Henryk Grossmann, Friedrich Pollock, Kurt Mandelbaum. Damals wie heute wird Marx konsultiert - als Ratgeber - oder angerufen - als Schreckgespenst -, wenn Krisenprozesse deutlich machen, dass der Kapitalismus nicht immer rund läuft. Damals wie heute ist ein weiterer Name immer mit im Gespräch: John M. Keynes. Momente des Keynesianismus wurden später mit Adornos Begriff der »verwalteten Welt« kritisiert, als ein zentrales Charakteristikum des Spätkapitalismus, in dem das »Organisationsprinzip« zusehends das »Tauschprinzip« ablöst. Keynes Buch Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes besprach Mandelbaum gleich 1936 in der Zeitschrift für Sozialforschung. Anhand dieser Auseinandersetzung möchte ich anhand von Keynes und ein paar gegenwärtigen Debatten - Kreditgeldschöpfung, MMT, digitaler Euro - skizzieren, wie Marx' Projekt einer Kritik der Politischen Ökonomie aussehen könnte und warum es keine Analyse der »gegenwärtigen Krisenkonstellation« und keine »radikale Gesellschaftskritik«, die ihren Namen verdient, ohne Ökonomiekritik gibt.

Ingo Stützle: Forschungsschwerpunkte sind Geldtheorie, Kritik der politischen Ökonomie und die Europäische Integrationsforschung. Für die Promotion Austerität als politisches Projekt 2013 mit dem Jörg-Huffschmid-Preis ausgezeichnet. 2008 David-Rjazanov-Preis für die »beste Nachwuchsarbeit auf dem Gebiet der Marx-Engels-Forschung und -Edition«. Zwischen Oktober 2014 und Mai 2022 geschäftsführender Redakteur der PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaften, noch immer Teil der Redaktion. Seit 2019 verantwortlich für die Marx-Engels-Werkausgabe, MEW, beim Karl Dietz Verlag Berlin.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 19: Black Marxism(s)? Zwischen Kapitalismus als Vergesellschaftung struktureller Rassifizierung und der konjunkturellen Artikulation von Rassismus und kapitalistischer Produktion (Ivo Eichhorn, Jochen Schmon)

Der us-amerikanische Theoretiker Cedric Robinson hat 1983, im Nachhall des intensiven Kampfzyklus der 1960er und 1970er Jahre, mit „Black Marxism“ ein Buch vorgelegt, das auch heute wieder in aller Munde ist. Darin prägt er nicht nur den Begriff der „Black Radical Tradition“, um einer spezifischen politischen und gesellschaftstheoretischen Traditionslinie einen Namen zu verleihen, die sich grundlegend auf die Arbeiten der „schwarzen Marxisten“ W.E.B. Du Bois und C.L.R. James gründet, er entwickelt auch seine Variante der These eines „Racial Capitalism“. Diese bezieht ihre Pointe daraus, dass Rassifizierung die Grundstruktur von Herrschaft in der westlichen Zivilisation überhaupt bilde. Der Kapitalismus sei lediglich eine von historisch unterschiedlichen Formen rassistischer Vergesellschaftung. Dies, wie Robinson im Geiste Du Bois‘ anführt, sei auch der Grund des Scheiterns der sozialistischen Bewegungen in Europa und den USA, die den gesellschaftlichen Stellenwert rassifizierter Arbeit in den Kolonien systematisch ignorierten – um es in den Worten von Du Bois zu sagen: „Keine Befreiung der weißen Arbeiter ohne die Befreiung rassifizierter Arbeiter überall in der Welt.“ Ebenfalls im Nachhall des „langen 68“ beschäftigte auch in antirassistische und sozialistische Kämpfe in Großbritannien involvierte Theoretiker*innen eine grundlegende Theoretisierung des Zusammenhangs von rassistischer Unterdrückung und Kapitalherrschaft. Insbesondere die Arbeiten im Kontext des Centre for Contemporary Cultural Studies können als einer grundlegenden Erneuerung des Marxismus mittels einer ideologie- und staatstheoretischen Thematisierung von Rassismus und Sexismus verpflichtet gelten. Jedoch schlugen die epochemachenden Ausarbeitungen dieser Zeit von Stuart Hall oder Paul Gilroy, um nur die bekanntesten zu nennen, einen zu Robinson gegensätzlichen Weg ein. Ihrem Ansatz der „Artikulation“ folgend bildet Kapitalismus weder eine Form rassistischer Vergesellschaftung unter anderen, noch lässt sich Rassismus über eine allgemeine Funktion innerhalb kapitalistischer Gesellschaftsformationen bestimmen. Stattdessen ist seine jeweils spezifische Konsistenz und Wirksamkeit für eine bestimmte gesellschaftliche Lage oder Konjunktur herauszustellen, um ihn zurückdrängen und überwinden zu können. 40 Jahre später stehen diese beiden konträren Ansätze weiterhin im Hintergrund vieler Debatten um den Zusammenhang von Rassismus und Kapitalismus, werden aber doch – insbesondere im deutschsprachigen Raum – selten eigens diskutiert. Hier nimmt unser Workshop den Faden auf. Wir versuchen beide Ansätze anhand zentraler Texte von Cedric Robinson und Stuart Hall miteinander zu konfrontieren und damit auch für Fragen gegenwärtiger Kämpfe zur Überwindung rassistischer Unterdrückung und kapitalistischer Herrschaft fruchtbar zu machen. Lektüre: Cedric Robinson (1983): Black Marxism: The Making of the Black Radical Tradition (ausgewählte Stellen) und Stuart Hall (1980): ‘Rasse’, Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante.

Jochen Schmon promoviert an der New School for Social Research in New York im Fachbereich Politische Theorie. Zuvor hat er Politikwissenschaft und Soziologie in München und Berlin studiert, wo er sich vorrangig mit der ersten Generation der Frankfurter Schule sowie mit dem französischen Poststrukturalismus auseinandergesetzt hat. In seiner Dissertation analysiert er die Art und Weise wie der Begriff der Sklaverei von den radikalen politischen Bewegungen der Moderne – Abolitionismus, Feminismus, Sozialismus und Anarchismus – ins Zentrum ihrer Herrschaftsanalyse gestellt und jeweils begrifflich erweitert wird. Ivo Eichhorn promoviert und arbeitet am Institut für Philosophie der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zu seinen Forschungs- und Interessenschwerpunkten gehören neben dem Denken der Menge bei Spinoza, das sein Dissertationsprojekt bildet, kritische Rassismustheorie, Ideologietheorie, Marxismus und „Post-Marxismus“.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 20: Ökologie im Anschluss an Marx – Demokratische (Re-)Produktion innerhalb planetarer Grenzen (Lukas Oberndorfer)

Die Frage, ob wir zur Lösung der Krise des Klimas und der Ökologie etwas von Marx lernen können, würden Viele verneinen. Das hat mehr etwas mit dem Marxismus in Anschluss an Marx als mit ihm selbst zu tun. Denn auch wenn von ihm kein geschlossenes Werk zum Thema vorliegt, durchzieht seine Texte eine wiederkehrende Beschäftigung mit den kapitalistischen Naturverhältnissen und ihren Verwüstungen. Darüber lässt sich verstehen, dass der Kapitalismus nicht allein auf den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit reduziert werden kann, sondern auf unterschiedlichen Ausbeutungsbeziehungen aufbaut. Ein solches Verständnis von Marx könnte ein wertvoller Ratgeber für die Klimabewegung und eine sozial-ökologische Transformation sein, die wirkliche alle Herrschaftsverhältnisse umwirft und die Menschen in die Lage versetzt ihren „Stoffwechsel mit der Natur rationell [zu] regeln [und] unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle [zu] bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden“ Karl Marx (MEW 25, 828). Der Workshop versucht ein solches Verständnis von Marx nachzuzeichnen und will gemeinsam die Frage verhandeln, was sich daraus für die Praxis lernen lässt. Er setzt keine Vorkenntnisse voraus.

Lukas Oberndorfer ist Wissenschafter in Wien und Mitherausgeber der Zeitschrift Tagebuch. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie die Vielen für den sozial-ökologischen Umbau gewonnen werden können.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 21: Die Rückkehr der falschen Propheten. Leo Löwenthals Studien und ihre Bedeutung für einer kritische Theorie des autoritären Populismus (Lars Rensmann)

Der Vortrag rekonstruiert zentrale Elemente der Studien Löwenthals Forschungen zu faschistischer Agitation im 20. Jahrhundert und diskutiert, inwieweit seine Einsichten in die gesellschaftlichen Ursprünge des Autoritarismus und die politisch-psychologischen Dynamiken, Instrumente und Attraktivität autoritärer Agitation Anknüpfungspunkte für heutige Forschungen sowie eine kritische Theorie des autoritären Populismus bieten. Argumentiert wird, dass trotz der Grenzen historischen Transfers seine Arbeiten als Quellen zum Verständnis der aktuellen antiliberalen, autoritär-nationalistischen populistischen Revolte ‘von unten’ und ‚von oben’ dienen können. Deren Anziehungskraft hat sich im Kontext der restrukturierten Öffentlichkeit einer postfaktischen Demokratie und im Zeitalter eines entfesselten neo- und postliberalen globalen Kapitalismus verstärkt. Das Potenzial autoritärer Regression hat sich dabei auch in liberal verfassten Demokratien wiederbelebt und erneuert. Ein Kernstück von Löwenthals Analyse bildet die gesellschaftliche Malaise und die Verarbeitung von Krisen, welche autoritäre Agitation in nostalgischen Nationalismus, kulturell-moralische Überlegenheit und projektive Feindbilder—insbesondere den Hass auf Andere, Flüchtlinge, (globale) Eliten sowie in verschwörungsmythischen Antisemitismus—in einer „feindlichen Welt“ übersetzt.

Lars Rensmann ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre an der Universität Passau. Zuvor war er von 2016-2022 Professor für Europäische Politik und Gesellschaft an der Rijksuniversiteit Groningen (Niederlande), leitete als Gründungsdirektor das dortige Centre for the Study of Democratic Cultures and Politics und war Geschäftsführender Direktor des Fachbereichs Europäische Sprachen und Kulturen. Bis 2015 war er Professor für Politikwissenschaft und leitete den Fachbereich Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der John Cabot University in Rom. Rensmann lehrte und forschte zudem u.a. an der University of Michigan, der Yale University, der University of California at Berkeley, der Haifa University (Israel), der Universität Wien, der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Humboldt Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin. Er ist der Autor zahlreicher Veröffentlichungen, u.a. der Studie The Politics of Unreason: The Frankfurt School and the Origins of Modern Antisemitism (Albany, NY: SUNY Press, 2017).

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 22: Organisierte Halbbildung – Studieren 20 Jahre nach der Bologna-Reform (Gruppe Organisierte Halbbildung)

Die Bologna-Reform hat das Studieren fundamental verändert. Doch seit dem Scheitern anfänglicher Proteste von Studierenden sind kritische Stimmen beinahe verstummt. Das muss sich ändern. Partys, Freizeit, selbstbestimmt leben und lernen. Das sind Bilder, die Menschen oft über das Studieren im Kopf haben. Die Realität sieht anders aus: Überfüllte Seminare, kleinteilige und undurchsichtige Prüfungsordnungen, eine abstrus kurze Regelstudienzeit, mangelhafte Betreuung durch Lehrende, unterfinanzierte Fachbereiche. Die Party fällt flach, weil man Freitag nach einer langen Uni-Woche arbeiten muss, um das Studium zu finanzieren. Als Ursache für die prekären Studienbedingungen und die Probleme im Universitätsbetrieb wird in kritischen Auseinandersetzungen die Bologna-Reform ausgemacht. Doch was ist im Zuge von Bologna eigentlich geschehen und welche Konsequenzen hat diese Reform für unser Studium heute, 20 Jahre nach der Implementierung? Dem Workshop liegt unsere titelgebende Diagnose zugrunde: Das aktuelle Universitätssystem produziert lediglich Organisierte Halbbildung – eine entfremdete Form der Bildung, die auf zweckrationale Kalküle ausgerichtet ist und nach marktkonformen Logiken operiert. Der Begriff der »Halbbildung« entstammt Theodor W. Adornos 1959 verfassten Text Theorie der Halbbildung. Die Bologna-Reform hat diese Form der Bildung politisch und institutionell organisiert und in die Grundfesten der Hochschulen eingeschrieben.

Gruppe Organisierte Halbbildung.

 

Workshop 23: Kritik des gegenwärtigen Krisenbegriffs. Teil 2 (Hans-Georg Bensch, Michael Städtler)

Krisen haben für die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft eine ambivalente Bedeutung: Ihre schmerzhaften Auswirkungen erregen Protest, aber sorgen auch dafür, dass dieser sich auf die Krise und deren vermeintliche unmittelbare Ursachen (z.B. Fehlverhalten von Spekulanten, Bankiers oder Staatsführungen) beschränkt. Damit regen sie eine Kritik am Kapitalismus an, aber eine, die nicht den Kapitalismus als solchen begreift und kritisiert. Die Strukturen kapitalistischer Gesellschaften sind in hohem Maße von Prinzipien abhängig, die anonym und indirekt wirken. Sie sind keine Gegenstände der Erfahrung, sondern können nur durch Denken, durch theoretische Reflexion von Erfahrungen erkannt werden. Begründete Kritik muss darauf aufbauen und die in gesellschaftlichen Strukturen institutionalisierten Zwecke in den Blick nehmen. Krisen (Produktions- Finanz-, Klima-, Umweltkrisen etc.) erzeugen den Anschein, ein unmittelbares Objekt der Kritik zu sein. Damit erzeugen sie Krisen, im Sinne von Konfusion, in der Theorie und der Kritik. Dieser Befund gilt analog für empirische Gerechtigkeitsdefizite, sog. ‚soziale Pathologien‘, aber auch für die Stoßrichtung mancher neuen sozialen Bewegungen. Der Workshop thematisiert notwendige Elemente theoretischer Kritik, die Notwendigkeit solcher Kritik überhaupt als Voraussetzung einer sinnvollen Praxis sowie auch das Problem der Theoriefeindlichkeit. Es geht also um die Vergegenwärtigung kritischer Theorie. Das Problem soll durch die gemeinsame Lektüre kurzer Textpassagen (vor allem aus: Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1-3) erarbeitet werden.

apl. Prof. Hans-Georg Bensch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie in Oldenburg und Autor mehrerer Veröffentlichungen zur Kritik der politischen Ökonomie, u.a. „Vom Reichtum der Gesellschaften“. apl. Prof. Michael Städtler ist Leiter des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts Hannover/Peter-Bulthaup-Archiv und betreut eine Nachwuchsgruppe in dem BMBF- geförderten Projekt "Kohärenz in der Lehrerbildung" an der Bergischen Universität Wuppertal.

 

Sonntag, 14.45 bis 16.15 Uhr

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 24: Kritische Theorie und Marxismus – oder: Wie kritisiert man die klassenlose Klassengesellschaft? Teil 2 (Helen Akin, Jonas Balzer, Dirk Braunstein, Jorin vom Bruch)

Dass eine Kritische Theorie ohne den Bezug auf Marx schlicht nicht zu denken ist und dies auch für die sogenannte erste Generation nie an Gültigkeit verloren hat, wollen wir im Workshop in einigen Schlaglichtern beleuchten. Wir konzentrieren uns dabei auf den Klassenbegriff, als zentralem Skandalon der marxschen Kapitalismuskritik. Gemeinsam werden wir nachvollziehen, wie der Horkheimer-Kreis den Klassenbegriff aufgenommen und weiterentwickelt hat. Dazu werden wir zunächst zwei Momente der Theoriegeschichte des Horkheimer-Kreises näher in Betracht nehmen. Zunächst die Reflexionen zur Klassentheorie, welche von den Frankfurtern in den frühen 40er Jahren unternommen wurden – dazu lesen und diskutieren wir als primären Text Horkheimers Zur Soziologie der Klassenverhältnisse (1943). Unsere diesbezügliche These lautet: In den Augen der Frankfurter entwickelt sich der Kapitalismus im 20. Jahrhundert zur „klassenlosen Klassengesellschaft“. Dann werden wir danach fragen, wie der so (re-)formulierte Klassenbegriff später dazu gebraucht wurde, um soziale Konflikte im Spätkapitalismus verständlich zu machen. Dazu lesen wir Adornos Text Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute (1968). Das mit dem Workshop verknüpfte Ansinnen, ist allerdings keineswegs bloß theoriegeschichtlich. Vielmehr sollen die beiden zunächst betrachteten historischen Stationen die Frage nach der Aktualität des Begriffs der klassenlosen Klassengesellschaft für die Kritik der neoliberalen oder heute vielleicht post-neoliberale Gegenwart der kapitalistischen Gesellschaft vorbereiten. An verschiedenen Beispielen von Protestbewegungen wie den Gelbwesten in Frankreich (vgl. vom Bruch 2021) und biografischen Beschreibungen der Erfahrung des Klassenkonfliktes wie denen von Didier Eribon und Annie Ernaux wollen wir die Übertragbarkeit des Begriffs der klassenlosen Klassengesellschaft diskutieren.

Der Workshop ist für 2x90 min geplant. In der ersten Sitzung erarbeiten wir gemeinsam den Begriff der klassenlosen Klassengesellschaft, in der zweiten Sitzung diskutieren wir dessen Übertragbarkeit. Pflichtlektüre 1. Sitzung: Max Horkheimer (1943): Zur Soziologie der Klassenverhältnisse, in HGS 12: 75-104 und Theodor W. Adorno (1968): Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, in AGS 8: 177-195. Pflichtlektüre 2. Sitzung: Jorin vom Bruch (2021): Die Gilets Jaunes: Ein symptomatischer Konflikt in einer ‚Klassengesellschaft ohne Klassen‘, in Momentum Quarterly Vol. 10, No. 4, 223-236 und tba. Zusatz 1. Sitzung: T.W. Adorno (1942): Reflexionen zur Klassentheorie, in AGS 8: 373-391. T.W. Adorno (1968): Spätkapitalismus oder Industriegesellschaf?, in AGS 8: 354-370. Zusatz 2.Sitzung: Klaus Dörre (2020): In der Warteschlange: Arbeiter*innen und die radikale Rechte, Münster: Westfälisches Dampfboot, 15-42. tba.

Helen Akin promoviert zum Thema "Dialektik der Entfremdung" und arbeitet derzeit am Institut für Philosophie der FSU Jena sowie am Institut für Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig. Jonas Balzer promoviert an der Universität Leipzig und der HFG-Offenbach zum Thema "Bedürfnis und (Un-)Freiheit. Zur normativen Semantik des Mangels in Theorien sozialer Freiheit". Dirk Braunstein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main und Leiter des Institutsarchivs. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kritische Theorie, Kulturindustrie und das Verhältnis von Philosophie und Soziologie. Jorin vom Bruch ist Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Jena und promoviert zu Arbeitskonflikten im Dienstleistungssektor.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 25: Ursprüngliche Akkumulation und Antiziganismus. Zur Entstehungsgeschichte einer spezifischen Lebensweise und deren Kriminalisierung (Laura Soréna Tittel)

Antiziganismus ist eine Diskriminierungsform, die seit Jahrhunderten in europäischen Denk- und Handlungsweisen verankert ist. Von Antiziganismus kann immer die Rede sein, wenn Menschen unter der Figur oder dem Feindbild „Zigeuner“ wahrgenommen und behandelt werden. Davon sind in Deutschland mit überwiegender Mehrheit Sinti, Sintize, Roma und Romnja betroffen. Um ein gesellschaftspolitisches Verständnis von Antiziganismus zu entwickeln, möchte ich im Workshop mithilfe von Marx untersuchen, welche sozialen Umbruchsformen Sinti und Sintize bei ihrer Einwanderung Anfang des 15. Jahrhunderts in Westeuropa vermutlich vorgefunden haben. Dazu analysieren wir – mit Marx‘ Überlegungen zur „sogenannten ursprünglichen Akkumulation“ aus dem Kapital – die sozialen Strukturen am Übergang des Feudalismus zum Manufaktur- und später zum kapitalistischen Gesellschaftssystem und vollziehen die Entstehung der modernen Form von sozialer Ungerechtigkeit und Armut nach. Aus dieser Perspektive heraus lassen sich neue Ansatzpunkte für eine kritische Betrachtung der gesellschaftlichen Bedingungen, die Antiziganismus hervorgebracht haben und eine „Periode des Vagabundentums“ (Marx) eingeläutet haben, entwickeln. Sichtbar wird der Antiziganismus dann als ein Phänomen, das in alltäglichen Handlungs- und Denkmustern auftritt und zugleich strukturell in soziale Institutionen eingeschrieben ist – er wird in rechtlichen Strukturen und in staatlichem Handeln ebenso wirksam wie auf kultureller Ebene in der Kunst, der politischen Theorie und der Ideengeschichte. Auf dieser Grundlage beschäftigen wir uns im zweiten Teil des Workshops mit zeitgeschichtlichen und aktuellen Dimensionen des Antiziganismus. Dabei legen wir einen Fokus auf den behördlichen Umgang mit Armut, Betteln und Obdachlosigkeit in Frankfurt, sowie auf lokale Initiativen, die sich gegen Antiziganismus einsetzen.

Laura Soréna Tittel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Politische Theorie und Ideengeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dort forscht sie seit 2018 im DFG-Sonderforschungbereich „Dynamiken der Sicherheit“ zu antiziganistischen Versicherheitlichungspraktiken. In diesem Rahmen entstand auch ihre Doktorarbeit „Politische Theorie des Antiziganismus“, die demnächst bei transcript erscheint.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 26: Die Neuordnung der Küchen. Das Erbe materialistisch-feministische Entwürfe eines besseren Zusammenlebens (Darja Klingenberg)

Die Umgestaltung einer Gesellschaft erfordert die radikale Neugestaltung der Küchen, der Fürsorge- und Lebensweisen, wusste Alexandra Kollontai und andere sozialistische Feminist*innen des frühen 20. Jahrhunderts. Die in diesem Sinne materialistischen Feminist*innen stritten, so radikal wie pragmatischen, um Wohnreform und Wohnutopien und die Bedeutung der Familie. Diese Debatten aufgreifend wird im Workshop der erstmals in deutscher Übersetzung vorliegende Text Familie und kommunistischer Staat von 1918 vorgestellt. Dieser wird im Frühling in der Kitchen-Politics-Reihe »Die Neuordnung der Küchen: Materialistisch-feministische Entwürfe eines besseren Zusammenlebens« erscheinen. Der Text soll ideengeschichtlich in die Debatten feministischer Kämpfe und die Politiken des real existierenden Sozialismus eingebettet werden. Im Zentrum der Workshop-Diskussion steht das Erbe un/verwirklichter Wohnutopien der sowjetischen 1920er oder des Roten Wiens, die Frage nach Ihrem Scheitern, den schweren Hypotheken realsozialistischer Geschichten und ihrer Strahlkraft für zeitgenössische queer-feministische Diskussionen um nachhaltigere und glücklichere Lebensweisen. Denn die Frage, wie wir wohnen, arbeiten, trösten, kochen, abwaschen und lieben wollen, steht auch 100 Jahre später im Zentrum materialistisch-feministischer Debatten.

Darja Klingenberg, Wissenschaftliche Mitarbeiter*in an der Europa Universität Viadrina Frankfurt Oder für das Herausgeber*innen Kollektiv Kitchen Politics.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 27: Politische Regression und das Unbehagen an der Krise (Helge Petersen, Hannah Hecker)

In diesem Workshop soll die bislang wenig beachtete Frage diskutiert werden, welchen Stellenwert krisentheoretische Überlegungen in den Arbeiten des frühen Instituts für Sozialforschung einnehmen. Dabei soll der Blick auf eine zentrale Ungleichzeitigkeit gerichtet werden: Die frühen Arbeiten in den 1930er Jahren setzen sich intensiv mit kapitalistischen Krisenprozesse auseinander, bleiben dabei aber einer orthodoxen Subjekttheorie verhaftet, die den Zusammenhang von Weltwirtschaftskrise und politischer Regression nicht begreifen kann. Die sozialpsychologischen Arbeiten der 1940er und 1950er Jahre überwinden diese Orthodoxie, verlieren im spezifischen Kontext des fordistischen Akkumulationsregimes aber das politische Destruktionspotential von Krisenprozessen aus den Augen. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Workshop vorgeschlagen, die in den späteren Arbeiten erarbeiteten sozialpsychologischen Begriffe – allen voran den Begriff des Unbehagens – aufzugreifen und auf das in den früheren Arbeiten verhandelte Krisenproblem anzuwenden. Das Scheitern der Subjekte, das erlebte soziale Leiden auf den Begriff zu bringen, da sie in einer ambivalenten Haltung von Identifizierung mit und Skepsis gegenüber dem gesellschaftlichen Ganzen verfangen sind, soll als mögliche Grundstruktur der regressiven Verarbeitung gesellschaftlicher Krisenprozesse herausgearbeitet werden. Diesem Vorhaben nähert sich der Workshop über die Auseinandersetzung mit Ausschnitten aus drei Texten aus dem Institut für Sozialforschung an: Friedrich Pollocks Bemerkungen zur Wirtschaftskrise (1933), Leo Löwenthal und Norbert Gutermans Falsche Propheten (1949) und Theodor W. Adornos Die Freudsche Theorie und die Struktur faschistischer Propaganda (1951).

Helge Petersen ist Postdoktorand am Institut für demokratische Kultur an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Hannah Hecker studiert den Master Soziologie an der Universität Frankfurt und arbeitet am Fritz Bauer Institut.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 28: Theorie und Praxis: Wohnungskrise und Wohnraumkämpfe (Saskia Gränitz, Jenny Stupka, Deutsche Wohnen und Co. Enteignen)

Die Wohnungsfrage ist zurück. Obwohl sich ihr Erscheinungsbild historisch gewandelt hat, steht - wie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts - die Wohnungsnot heute im Zentrum kapitalistischer Krisen. Ausgehend von Materialien aus der Forschung untersuchen wir im Workshop mit Saskia Gränitz die allgemeine Bedeutung von Immobilien im Kapitalismus und diskutieren Besonderheiten eines zunehmend finanzialisierten Wohnungsmarktes. Zu fragen ist, wie soziale Kämpfe um Wohnraum heute zu führen sind und vor welchen neuen Herausforderungen sie stehen.

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen hat die Vergesellschaftung (von Wohnraum) als radikale Reformstrategie wieder in die öffentliche Wahrnehmung gebracht. Schon in der Gründungszeit des IfS waren ähnliche Maßnahmen Gegenstand ausgefeilter strategischer und ökonomischer Auseinandersetzungen. Jenny Stupka stellt zur gemeinsamen Diskussion, wie Vergesellschaftung als strategischer Bezugspunkt Wohnraumkämpfe voranbringen und das Verhältnis von Theorie und Praxis beleben kann.

Jenny Stupka promoviert zu sozialphilosophischer Kritik privaten Eigentums an der Freien Universität Berlin. Sie ist Mitglied der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Saskia Gränitz ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IfS und forscht soziologisch zur materiellen und symbolischen Produktion von Wohnungsnot im Kapitalismus.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 29: Klassenpolitik im Kapitalozän (Elias König, Milo Probst, Tatjana Söding)

Klima-, Corona- und Wirtschaftkrise: Eine Aktualisierung der materialistischen Gesellschaftstheorie ist 100 Jahre nach der marxistischen Arbeitswoche erneut nötig, weil Naturverhältnisse noch immer aus gängigen marxistischen Klassentheorien ausgeklammert werden. Gleichzeitig mangelt es der ökomarxistische Tradition an einem theoretischen Instrumentarium, das die konkreten, aber auch widersprüchlichen Konflikte rund um die kapitalistische Organisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse sichtbar – und damit politisierbar – macht. Offen bleibt auch, wie gesellschaftliche Konflikte entlang von geschlechter-, race- oder generationenspezifischen Verhältnissen in ökologische Klassenkämpfe hineinspielen. Wenn die ökologische Krise zu einem ›breiten‹ Verständnis des Kapitalismus anhält, das die angeblichen ›Außen‹ als Grundvoraussetzungen der Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse miteinbezieht, lässt sich eine ökologische Klasse nicht mehr als homogenes Subjekt begreifen. Wie zu Beginn der 1920er Jahre könnte ein Schlüssel in einer Aktualisierung des Verständnisses von Klassenkampf und Klassenpolitik liegen (Lukács). Wie kann ein ökologisches Klassenbewusstsein gleichzeitig verbinden und die unterschiedlichen Situierungen politischer Subjekte innerhalb der und zwischen den weltwirtschaftlichen Sphären einbeziehen und politisieren? Wie können politische Subjekte, die von einer Hegemonie interpelliert werden, die Kraft für solch einen Bruch erlangen? Und: bedarf der Marxismus einer Erneuerung der Debatte um die Nützlichkeit des utopischen Sozialismus, um Subjekten eine revolutionäre Vision an die Hand zu geben? Der Workshop startet mit einer 15-minütigen Präsentation über die verschiedenen Strömungen des öko-Marxismus und einer Herleitung drei zentraler Thesen, die es zur Weiterbildung des Marxismus in Zeiten der Klimakrise zu beantworten gilt. Nach 30-minütigen Diskussionen in Kleingruppen diskutieren wir zusammen im Plenum über Klassenpolitik im Kapitalozän aus theoretischer und praktischer Perspektive. In einer Abschlussrunde werden diese unterschiedliche Blickweisen ausgetauscht und zusammengebracht.

Elias König ist Affiliate Scholar am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit am Helmholtz-Institut Potsdam und schreibt über soziale Bewegungen und Klimagerechtigkeit. Er ist der Autor von Klimagerechtigkeit - Warum wir eine sozial-ökologische Revolution brauchen (2021). Milo Probst hat an der Universität Basel zur Geschichte des ökologischen Denkens im Anarchismus promoviert und erforscht zurzeit die Geschichte ökologischer Feminismen. Er ist Autor von Für einen Umweltschutz der 99% (2021), und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Tatjana Söding hält einen MSc Human Ecology der Lund University. Sie ist Assozierte der Forschungsgruppe Sozialökologische Transformation der Rosa-Luxemburg Stiftung und forscht zusammen mit dem Zetkin Collective über die Zusammenhänge zwischen Ökofaschismus und Kapitalismus. Sie ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 30: Kritik der Herrschaft – Herrschaft der Kritik? Psychoanalyse als Modell für das Verhältnis von Kritischer Theorie und Gesellschaft (Tobias Heinze, Marvin Ester)

Die Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaftskritik und kritisierter Gesellschaft beschäftigt die Kritische Theorie von Anfang an. Welche Rolle spielen Theorie und Kritik für die praktische Emanzipation? Was verleiht Theorie die Autorität, über falsche und richtige Praxis zu urteilen? Und ist es ein Problem, wenn Kritische Theorie der emanzipatorischen Praxis äußerlich wird? In unserem Workshop widmen wir uns der Frage, die der Kritischen Theorie bis heute zur Verständigung über diese Herausforderungen dient: Ist es der interaktive Problemlösungsprozess der Psychoanalyse, der das stichhaltigste Modell für die Bestimmung des Verhältnisses von Kritischer Theorie und Gesellschaft darstellt? Nach einer kurzen Einführung beginnen wir mit einer Diskussion von prägnanten Stellen aus Max Horkheimers Traditionelle und kritische Theorie (1937). Im gemeinsamen Gespräch machen wir uns einen Eindruck davon, was Horkheimer im Sinn hatte, wenn er Kritische Theorie als »die intellektuelle Seite des historischen Prozesses [der] Emanzipation« beschrieb und wo er Konflikte zwischen Intellektuellen und Ausgebeuteten sah. Im zweiten Teil des Workshops teilen wir die Gruppe auf. Für eine konstruktive Abschlussdiskussion werden zwei einflussreiche Lesarten der Psychoanalyse als Modell der Gesellschaftskritik vorbereitet:

(a) Jürgen Habermas‘ Vorschlag aus Erkenntnis und Interesse (1968), die Analogie von Kritischer Theorie und Psychoanalyse sei so zu deuten, dass auch die Kritische Theorie ein Aufklärungsprozess sei, »der nur Beteiligte kennt« und

(b) Amy Allens Kritik an Habermas‘ rationalistischer Verkürzung der Psychoanalyse und damit auch des einseitigen Verständnisses der Analogie von Kritischer Theorie und Psychoanalyse.

Die abschließende Diskussion soll den Teilnehmer*innen die Möglichkeit geben, beide Positionen im Dialog zu prüfen und eigene Erfahrungen aus der Reflexion emanzipatorischer Praxis einzubringen.

Marvin Ester ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Social Critique an der Humboldt-Universität zu Berlin. In seiner Dissertation entwickelt er anhand des Begriffs des »Narzissmus« im Anschluss an Theodor W. Adorno, Karl Marx und Sigmund Freud eine sozialphilosophisch-psychoanalytische Theorie regressiver Politik als sozialstrukturell-induzierte Krise sozialer Freiheit. Tobias Heinze ist Doktorand am Institut für Sozialforschung und an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er arbeitet in seiner sozialphilosophischen Dissertation zum Beitrag Schellings zu einer Kritischen Theorie der Natur in Zeiten der Klimakrise. Weitere Forschungsinteressen umfassen die Politische Theorie und die psychoanalytische Sozialpsychologie.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 31: Totalität. Bedingung und Problem einer kritischen Theorie der Gesellschaft (Alex Struwe)

Die Gesellschaft gilt heute als so komplex, dass sie sich nicht auf einen einfachen Begriff bringen lässt. Und doch funktioniert sie noch als Ganze: als Herrschaftszusammenhang, als Kapitalismus, als verwaltete Welt. Wie lässt sich dieser Widerspruch begreifen?
Der Begriff der Totalität wurde hingegen schon lange aus dem Vokabular einer kritischen Gesellschaftstheorie verabschiedet. Dafür gibt es vernünftige Argumente, aber nicht selten liegt dem auch ein Missverständnis zugrunde: Totalität war nie die Antwort der Theorie auf die Herausforderung, Gesellschaft zu begreifen, sondern deren Ausgangsproblem.
Der Workshop entfaltet dieses Problem der Totalität in der Geschichte der kritischen Gesellschaftstheorie: Von Marx’ konkreter Bestimmung der Gesellschaft zur „Krise des philosophischen Totalitätsanspruchs“, deren Diagnose Theodor W. Adorno zum Ausgangspunkt einer materialistischen Theorie machte, bis in die Verabschiedung des Totalitätsbegriffs im Zuge poststrukturalistischer Theoriebildung.
Ziel soll es sein, die Theoriegeschichte für eine Reflektion auf die Möglichkeiten und Grenzen eines Begriffs gesellschaftlicher Totalität heute zu nutzen. Denn, so zumindest eine Lehre daraus, ohne diesen Begriff gibt es keinen Einspruch gegen die herrschenden Verhältnisse.

Alex Struwe ist Gesellschaftstheoretiker und Kulturkritiker. Er promoviert zum Begriff der Totalität bei Marx, Adorno und Althusser und ist Autor zahrleicher wissenschaftlicher und journalistischer Beiträge zu den Herausforderungen aktueller Gesellschaftskritik. Zudem arbeitet er als Wissenschaftsredakteur für nd.DieWoche sowie als Redakteur der Phase 2. Zeitschrift gegen die Realität.

Montag, 11.00 bis 12.30 Uhr

[ABGESAGT] Workshop 32: Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Orthodoxem Marxismus (Jan Schroeder, Stefan Hain)

Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule erscheint noch immer als Enigma. Über das Erbe der Kritischen Theorie, die politischen Implikationen ihrer Theorie herrscht seit jeher Uneinigkeit: mal erscheint die Kritische Theorie als »Westlicher Marxismus«, mal als »Postmoderne«, mal als anarchistisch, mal als weltabgewandter intellektueller Rückzug und manchmal sogar als dogmatische Orthodoxie. Die erste Marxistische Arbeitswoche 1923 markiert historisch wie personell die Verbindung des politischen Marxismus mit der sich herausbildenden Kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Die im gleichen Jahr erschienen und konzeptionell eng verbundenen Werke von Marxismus und Philosophie (Karl Kosch) und Geschichte und Klassenbewusstsein (Georg Lukács), deren Autoren maßgeblich an der ersten Marxistischen Arbeitswoche mitwirkten, geben davon ein Zeugnis ab und liefern insofern die Textgrundlage für den Vortrag. In dem Workshop soll den verschiedenen Sichtweisen auf die Kritische Theorie nachgegangen werden, indem die Geschichte der Kritischen Theorie selbst betrachtet wird. Was war die historische Verbindung der Kritischen Theorie zum Marxismus und inwiefern traten die beiden in einen Widerspruch zueinander? Was machte Marxismus orthodox und was war die kritische Intervention der Frankfurter Schule in die marxistische Politik ihrer Zeit?

Jan Schroeder hat an der Goethe-Universität Frankfurt Soziologie und Philosophie studiert und arbeitet als Redakteur für den Tagesspiegel in Berlin. Stefan Hain studierte Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt und der Freien Universität Berlin. Zur Zeit arbeitet er in der Suchthilfe.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 33: Vom autoritären Charakter zum libertären Autoritarismus. Zur Aktualität der Autoritarismustheorie für eine Kritische Theorie der Gesellschaft (Ann-Katrin Kastberg, Marvin Ester, Anna Rosa Ostern)

Wenige Schlüsselkonzepte der frühen Kritischen Theorie erfahren gegenwärtig eine vergleichbare Aufmerksamkeit wie das des »autoritären Charakters«. Besonders seit PEGIDA, dem Erstarken der AfD und den »Covid-Protesten« ist das Schlagwort eines autoritären »konformistischen Rebellentums« ein elementarer Bezugspunkt in der öffentlichen Debatte über demokratische Erosionserscheinungen geworden.
In unserem Workshop wollen wir uns mit einer einflussreichen Aktualisierung des Autoritarismuskonzeptes auseinandersetzen. Nachtwey und Amlinger diagnostizieren mit Bezug auf gegenwärtige Phänomene einen »libertären Autoritarismus«: Aufgrund veränderter Bedingungen der Gegenwart – die Verlagerung gesellschaftlicher Anforderungen ins Individuum, den Effekten einer »verdinglichten Freiheit« sowie dem Prozess einer »regressiven Modernisierung« – ließe sich eine Neuerung des klassisch-autoritären Charakters feststellen. Neben der Diskussion über die Stärken und Schwächen des klassischen Ansatzes, widmen wir uns in dem Workshop dieser Fortführung: Welche aktuellen Phänomene lassen sich durch die Diagnose eines libertären Autoritarismus besonders gut, welche weniger gut erklären? Wie lässt sich das Verhältnis zwischen »libertär-autoritärem Charakter« und dem klassischen Konzept von Adorno et al. beschreiben? Über diese Diskussion hinaus eröffnen wir den Workshop zuletzt für allgemeinere Fragen: Welche unerwünschten Implikationen und Grenzen hat die potenziell »psycho-pathologisierende« Dimension der Autoritarismuskritik?
Nach einer kurzen Einführung widmen wir uns gemeinsam mit den Teilnehmer*innen je einem kurzen Textausschnitt aus dem Buch von Amlinger und Nachtwey und der Studien zum autoritären Charakter von Adorno et al. Ob wir hierfür die Gruppe aufteilen oder uns den Textabschnitten gemeinsam und nacheinander widmen, werden wir situativ, das heißt abhängig von den Wünschen und Wissensständen der Gruppe, entscheiden.

Ann-Katrin Kastberg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal. In ihrer Promotion im Kolleg »Dialektik der Teilhabe« am IfS beschäftigt sie sich mit den politischen Auswirkungen von Teilhabe- und Ausschlusserfahrungen im Zuge der sozial-ökologischen Transformation in der Lausitz. Marvin Ester ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Social Critique an der Humboldt-Universität zu Berlin. In seiner Dissertation entwickelt er anhand des Begriffs des »Narzissmus« im Anschluss an Theodor W. Adorno, Karl Marx und Sigmund Freud eine sozialphilosophisch-psychoanalytische Theorie regressiver Politik als sozialstrukturell-induzierte Krise sozialer Freiheit. Anna Rosa Ostern ist Psychologin und setzt sich in ihrer Promotion im Kolleg »Dialektik der Teilhabe« am IfS mit der widersprüchlichen Gesellschaftsformation der Spät-Moderne und dem dazugehörigen paradoxen Freiheitsverständnis auseinander. Hierbei untersucht sie anhand zweier Phänomene der Gegenwart – Prepping und Öko-Individualismus –Rückzugsbewegungen aus ›der‹ Gesellschaft ins Individuum.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 34: Über die Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung – die Arbeitszeitrechnung im Rätekommunismus (Sebastian Jordan, André Kistner)

Im Jahre 1930, als die repressiven und ausbeuterischen Tendenzen in der Sowjetunion immer offenkundiger wurden, die Arbeiterbewegung in zwei große verfeindete Flügel gespalten war, und faschistische Bewegungen in ganz Europa immer mehr Zulauf erhielten, verfasste in den Niederlanden eine kleine Gruppe von abtrünnigen Kommunisten aus Deutschland und Holland die Schrift Grundprinzipien der kommunistischen Produktion und Verteilung. Sie ist motiviert durch die rücksichtslose Kritik am leninistischen Modell des Partei- und Staatssozialismus sowie an ihrer gemäßigten sozialdemokratischen Variante, die Gegenstand der sogenannten „Sozialisierungsdebatte“ in den 1920er Jahren gewesen ist. Dabei ist ihre Kritik von der Idee der Arbeiterselbstverwaltung und der Erfahrung des Räteexperiments während der revolutionären Wellen am Ende des Ersten Weltkriegs getragen. Aber wie lässt sich eine sozialistische Planwirtschaft ohne zentrale staatliche Lenkung und ohne Geld organisieren? Dieser Frage versuchte die Gruppe internationaler Kommunisten (Holland) nachzugehen und ihre Antwort ist eine dezentrale Planwirtschaft auf der Basis der Arbeitszeitrechnung. Der Workshop soll in den historischen Kontext der damaligen Debatte sowie in die fast in Vergessenheit geratene Grundidee der Rätekommunisten einführen.

Sebastian Jordan und André Kistner sind Mitglieder der Berliner Initiative Demokratische Arbeitszeitrechnung (ida) e.V., die nicht nur Online-Lesekreise zur Diskussion der Arbeitszeitrechnung organisiert, sondern auch an der praktischen Erprobung arbeitet und Modellprojekte mit Genossenschaften und selbstverwalteten Kollektiven entlang kleinerer Lieferketten plant.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 35: Überwertiger Realismus und anthropologische Deformation. Phantasieverlust als gesellschaftliches Krisenphänomen (Alexandra Schauer, Sebastian Tränkle)

Seit ihren Anfängen war die Kritische Theorie von einer Spannung bestimmt: Zum einen analysierte sie, nicht zuletzt im Rahmen der Ersten Marxistischen Arbeitswoche, das Scheitern der Arbeiterbewegung und warf damit die Frage nach der Gültigkeit gesellschaftlicher Emanzipationsversprechen auf. Zum anderen war sie von einer Einsicht angetrieben, die Max Horkheimer auf den Punkt gebracht hat: »Es muss nicht so sein, die Menschen können das Sein ändern, die Umstände dafür sind jetzt vorhanden.« Der Workshop widmet sich der Frage, was passiert, wenn diese Überzeugung selbst fragwürdig wird, weil ein anderes gesellschaftliches Sein als gar nicht mehr vorstellbar gilt. Die Textgrundlage bietet eine Skizze Theodor W. Adornos zu einem nie realisierten Forschungsprojekt zum »Problem des neuen Menschentypus« (1941). Darin sollte untersucht werden, wie Veränderungen der objektiven, gesellschaftlichen Bedingungen sich auf die subjektive Konstitution auswirken und die Vermögen der Menschen (de-)formieren. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Schwächung der »Phantasiekraft« gezollt, mit der die Subjekte immer bruchloser die Haltung eines »überwertigen Realismus« einnehmen. Der Workshop möchte diese Überlegungen im Lichte der neueren gesellschaftsstrukturellen Umwälzungen diskutieren und anhand von ausgewähltem Text- und Bildmaterial das Problem des Phantasieverlusts für die Gegenwart konkretisieren.

Pflichtlektüre: Theodor W. Adorno, »Problem des neuen Menschentypus« (1941), in: ders., Current of Music. Elements of a Radio Theory, Nachgelassene Schriften, Abt. I Bd. 3, hg. v. Robert Hullot-Kentor, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2006, 650–661.

Alexandra Schauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt. Aktuell beschäftigt sie sich mit destruktiven Verarbeitungsformen gesellschaftlicher Krisen, die sie als Resultat auch der Ausbreitung eines überwertigen Realismus begreift. Ihre Analyse des Bedeutungsverlusts gesellschaftlicher Gestaltungsvorstellungen ist 2023 bei Suhrkamp unter dem Titel Mensch ohne Welt. Eine Soziologie spätmoderner Vergesellschaftung erschienen. Sebastian Tränkle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin (Philosophie) und arbeitet zur Zeit zum Problem der anthropologischen Deformation sowie zu Fragen der der Subjektivität, der Sprache und der Ästhetik. Seine Dissertation Nichtidentität und Unbegrifflichkeit. Philosophische Sprachkritik nach Adorno und Blumenberg erschien 2021 bei Klostermann.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 36: Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse in der Migration (Ceyda Çil, Maria Kontos, Minna K. Ruokonen-Engler, Christian Sperneac-Wolfer, Paul Sperneac-Wolfer, Andrei Botorog)

Als unhaltbar erscheinen die Verhältnisse im Bau, der Landwirtschaft oder in der Pflege, wenn die Arbeitssituation migrantischer Beschäftigter im gegenwärtigen Kapitalismus in den Blick gerät: zu ihrem Alltag gehören Überausbeutungsverhältnisse, nicht-bezahlte Löhne im Baugewerbe, Stundenlöhne von drei Euro bei der Ernte sowie die nicht-Anerkennung der Qualifikationen von Pflegefachkräften. Ohne eine kritische Analyse der Verschränkung von Arbeits- und Lebensverhältnissen unter Migrationsbedingungen in diesen Feldern bleibt die Gesellschaftsanalyse unvollständig. Welchen Beitrag kann eine marxistische Perspektive hierfür leisten? Was wird dabei gesehen und was übersehen? In unserem Workshop möchten wir auf diese Fragen eingehen, über die möglichen Leerstellen diskutieren sowie zentrale Eckpunkte für eine kritische Analyse identifizieren. Hierzu finden fünf Impulsvorträge á 10 Minuten und eine 40-minütige Abschlussdiskussion statt. In ihrem Einstiegsvortrag stellt Maria Kontos die frühe, am Marxismus angelehnte, Migrationsforschung der 1970er bis 1980er Jahre vor und vergleicht sie mit der Debattenlage in der neoliberalen Ära. Minna K. Ruokonen-Engler beleuchtet die Situation migrantischer Pflegefachkräfte, an der sich deutlich sowohl die Dethematisierung migrantischer Arbeitsverhältnisse als auch die globalen Verschiebungen von Reproduktions- und Ungleichheitsordnungen zeigen. Die Situation von Bauarbeitern aus Rumänien in Deutschland steht im Fokus von Christian Sperneac-Wolfer, der Überausbeutungsdynamiken am Bau diskutiert und nachvollzieht, wie die miserable Wohnsituation und Jobcenterpolitiken diese zusätzlich befeuern. Aufbauend auf seiner mehrmonatigen Feldforschung in einem österreichischen Gewächshaus und in rumänischen Dörfern führt Paul Sperneac-Wolfer in das Feld der Landwirtschaft ein und legt den Fokus auf die transnationale Reproduktion von Ungleichheit. In ihrem Beitrag fragt Ceyda Cil nach, welche Erklärungskraft der marxistische Entfremdungsbegriff bei der Analyse der Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse im Kontext von Migration besitzt. Sie weist auf dessen Stärken, aber auch Grenzen hin und erweitert dies mit einer transgenerationalen Perspektive. In der zweiten Hälfte des Workshops findet die Abschlussdiskussion statt, in der die Teilnehmer_innen Eckpunkte für eine kritische Analyse gegenwärtiger Arbeits- und Lebensverhältnisse unter Migrationsbedingungen identifizieren.

Referent:innen: Ceyda Çil, Maria Kontos, Minna K. Ruokonen-Engler, Christian Sperneac-Wolfer, Paul Sperneac-Wolfer. Moderation: Andrei Botorog

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 37: »Daß es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe« – End Fossil: Occupy! (Gianna Gumgowski, Anton Fromageot, Lukas Geisler von End Fossil: Occupy! Frankfurt)

Am 6. Dezember besetzten wir, die Klimagerechtigkeitsgruppe End Fossil: Occupy! Frankfurt, den größten Hörsaal auf IG-Farben-Campus. Das Präsidium der Goethe-Universität ließ – als erstes in Deutschland – die Besetzung nach knapp zehn Stunden von einer Hundertschaft der Polizei räumen. Eine Besetzung kann von der Polizei beendet werden, die Klimakrise nicht. Im Workshop entwerfen wir einen Rahmen, der ausgehend von der Situierung der Universität im fossilen Kapitalismus die Praxis von Universitätsbesetzungen theoretisiert. Damit wollen wir Aufschluss über den Beginn einer neuen Phase der Klimagerechtigkeitsbewegung – besonders über die Protestform der Besetzung von Universitäten – geben. Um die außertheoretische Erfahrung der Besetzung der Goethe-Universität zu theoretisieren, muss in einem ersten Schritt analysiert werden, welche spezifischen Funktionen Universitäten im fossilen-kapitalistischen Produktionsprozess erfüllen. Aufbauend darauf präsentieren wir einen Vorschlag, der das Konzept des climate-labour-turns als Strategie für eine transformative Universität weiterdenkt. Damit entwerfen wir einen marxistischen Ansatz zu einer post-fossilen – und vielleicht post-kapitalistischen – Universität. Die studentische Klimagerechtigkeitsbewegung darf nicht nur von der Universität in die Gesellschaft wirken, sondern hat zusätzlich die Aufgabe, die fossile Wissensproduktion und -vermittlung infrage zu stellen, da hier die epistemologischen Grundlagen des fossilen Kapitalismus (re-)produziert werden.

End Fossil: Occupy!

 

[ABGESAGT] Workshop 38: Ideologie und Etikett. Zum Verhältnis von materialistischer Kritik und Labeling Approach (Roman Thurn, Stephanie Schmidt, Alexander Bosch)

»Die Täuschung, als ob es unter den Bürgern andere Verbrecher gäbe als die gegen das Eigentum, ist Ideologie im echten Sinn: Schein, dem die Individuen auf Grund ihrer Rolle im gesellschaftlichen Prozess notwendig unterliegen«, und das »Stigma des Verbrechers ist die Nutzlosigkeit«, schreibt Horkheimer in der Theorie des Verbrechers. Die Erscheinung der Kriminalität entspringt dem Unwesen der bürgerlichen Gesellschaft, welches die Unproduktivität perhorresziert. Das ideologiekritische Fragment Horkheimers blieb als Beitrag zur kritischen Kriminologie jedoch unbeachtet. In dieser dominierten eher Ansätze des Etikettierungsansatzes in Anschluss an Becker, Lemert und Goffman, welche bisweilen mit der Kritischen Theorie in Dialog gebracht wurden. Doch wie verhalten sich die tendenziell konstruktivistischen Ansätze des Etikettierungsansatzes zu einer (dialektisch) materialistischen Ideologiekritik bzw. Kritik der politischen Ökonomie?
Im Workshop sollen Auszüge marxistischer bzw. materialistischer Theorien des Verbrechens (Horkheimer: Theorie des Verbrechers; Paschukanis: Allgemeine Rechtslehre und Marxismus; ggf. Marx: Debatte über das Holzdiebstahlsgesetz) und klassische Texte des Etikettierungsansatzes (Becker: Outsiders; Goffman: Stigma; Lemert: Social Pathology) diskutiert werden. Auch sollen fruchtbare Ansätze einer Verbindung beider Theorien, wie sie etwa von Cremer-Schäfer und Steinert entwickelt wurden, vorgestellt werden.

Roman Thurn: Promoviert an der LMU München zu anlassunabhängigen Personenkontrollen durch die Polizei. Der Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der kritischen Kriminologie, Kritischen Theorie und Polizeiforschung. Dr. Stephanie Schmidt: Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt »KI und menschliches Sinnverstehen im Recht« an der Universität Hamburg. Sie promovierte mit einer kulturanthropologischen Arbeit zu »Affekt und Polizei«. Alexander Bosch: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt »Police accountability - towards international standards« an der HWR Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der kritischen Rassismus- und Polizeiforschung.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 39: Vom Main über den Mississippi zum Mekong und zurück - zur systematischen Bedeutung von Rassismus- und Eurozentrismuskritik für kritische Theorie (Manuela Boatcă, Kolja Lindner, Urs Lindner)

Eine „Marxistische Arbeitswoche“, die 2023 nach Herausforderungen materialistischer Gesellschaftstheorie fragt, kann nicht mehr so durchgeführt werden wir vor hundert Jahren. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass wir heute eine Gruppe weißer Menschen, die in Thüringen zur Theoriebildung zusammenkommen, vermutlich nicht zu Unrecht einer ganzen Reihe von Beschränkungen, Verzerrungen und Auslassungen verdächtigen würden. Der vorgeschlagene Workshop möchte sich in rassismus- und eurozentrismuskritischer Perspektive drei solcher Leerstellen der historischen Kritischen Theorie annehmen: des Rassismusbegriffs (U. Lindner), des Kapitalismusverständnisses (K. Lindner) sowie der Auffassung globaler Ungleichheiten (M. Boatcă). In drei entsprechenden, 15-minütigen Inputs sollen dabei unter Rückgriff auf Critical Race Theory, Black Marxism, Globalgeschichte und post- bzw. dekoloniale Perspektiven Problematisierungen angeboten werden, die uns für eine kritische Theorie der Gesellschaft im 21. Jahrhundert wichtig erscheinen: Wie weitgehend kann der Rassismusbegriff von (biologischen) Rassetheorien und ihrem kolonialen Entstehungskontext abgelöst werden? An welchen Stellen sollte ein nicht-eurozentrisches Kapitalismusverständnis über Marx hinausgehen? Und über welche theoretischen und methodologischen Mittel muss eine kritische Soziologie globaler sozialer Ungleichheiten verfügen?

Manuela Boatcă ist Professorin für Soziologie und Leiterin des Global Studies-Programms an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie arbeitet zu globalen Ungleichheiten im modernen/kolonialen Weltsystem und zur Geopolitik des Wissens in Osteuropa, Lateinamerika und der Karibik. Ihre neueste Monografie, mit Anca Parvulescu, ist Creolizing the Modern. Transylvania Across Empires, Cornell UP, 2022.
Kolja Lindner ist maître de conférences in politischer Theorie an der Universität Paris 8. Er arbeitet zu Eurozentrismus und zur sozialen Epistemologie kritischer Theorien. Er veröffentlichte zuletzt Marx, Marxism and the Question of Eurocentrism, Palgrave, 2022.
Urs Lindner ist Philosoph am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Er arbeitet zu Egalitarismus und Erinnerungskultur. Zuletzt ist von ihm erschienen „Die Singularität der Shoah und die postkoloniale Herausforderung der deutschen Erinnerungskultur“, Geschichte und Gesellschaft 48.2, 2022.

Montag, 15.00 bis 16.30 Uhr

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 40: Probleme anarchistischer Staatskritik (Kantine Festival)

Das Kantine-Festival in Chemnitz wird sich in diesem Jahr mit der Theorie und Geschichte des Anarchismus auseinandersetzen. Einerseits scheint uns der Anarchismus in der Gegenwart eine lebendige Bewegung zu sein, die einen deutlichen Widerspruch gegen die unerträglichen bestehenden Verhältnisse artikuliert. Auf der anderen Seite interessiert uns die Geschichte der anarchistischen Bewegung: Sie stellt einen bedeutenden Teil der modernen Arbeiterbewegung dar. Gegenüber dem staatlichen Terror in der Sowjetunion brachte der Anarchismus die individuelle Freiheit und das Prinzip der Föderation in Stellung. In unseren Diskussionen, die wir in der Vorbereitung des Kantine-Festivals bisher geführt haben, schien uns jedoch ein zentraler Aspekt des Anarchismus – seine Staatskritik – als Schwäche. In den klassischen Texten von Bakunin und Kropotkin erscheint der Staat als rein äußerliche Macht: Fokussiert wird allein der repressive Aspekt von Staatlichkeit, in der jede Regierung - in welcher Konstitution auch immer - als ein amorphes Gebilde erscheint, das dazu neigt, seine souveräne Herrschaft mit personeller Gewalt durchzusetzen. In der anarchistischen Theorie ist der Staat nicht das Ergebnis von Interessensgegensätzen und Formen von Vergesellschaftung, sondern umgedreht: alle bestehenden Konflikte scheinen nur durch den Staat verursacht. Dementsprechend braucht es ›nur‹ die Abschaffung des Staates und damit sind alle Fragen des Übergangs in neue Formen von Vergesellschaftung erledigt. Uns schien zudem, dass zentrale Vorstellungen anarchistischer Gesellschaftsmodelle eine komplexe Arbeitsteilung zurückweisen und es stellt sich die Frage, ob eine entwickelte Ökonomie mit ihnen denkbar ist. Dies sind jedoch keine fertigen Urteile, sondern eher Eindrücke und Fragen, die wir in unserem Workshop zur Diskussion stellen möchten. Wir wollen Aspekte unserer Diskussion vorstellen und hoffen auf Impulse der Teilnehmenden. Zudem wollen wir mit euch den Text »Thesen zum Staat« diskutieren, den der jüdisch-russische Revolutionär Isaak Steinberg 1921 auf der Parteikonferenz der linken Sozialrevolutionäre vorgelegt hat. Dieser Text kann auch als Versuch gelesen werden, Defizite anarchistischer und marxistischer Staatstheorie jener Zeit zu reflektieren und positiv zu wenden. So scheint uns Steinbergs Position zwischen anarchistischer und marxistischer Staatstheorie bzw. -kritik angesiedelt zu sein. Machen Konflikte und Notwendigkeiten der Planung innerhalb einer sozialistischen Übergangsgesellschaft staatliche oder staats-analoge Strukturen notwendig? Wie kann die Macht solcher Strukturen jedoch beschränkt und Arbeitsrechte wie individuelle Freiheiten garantiert werden? Heißt die Diskussion solcher Fragen notwendig einen Verzicht auf den radikalen Impetus anarchistischer Staatskritik oder kann und muss die Perspektive der Abschaffung des Staates trotzdem aufrecht erhalten werden? Und wenn ja: Welche Aspekte muss ein kritischer Begriff des Staates umfassen?

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 41: Zionismus gleich Kolonialismus? Moishe Postones Fetischkritik und die Gegenwart des linken Antisemitismus (Jakob Hoffmann, Robin Forstenhäusler)

Gegenwärtig vorherrschende Strömungen des Antirassismus haben mit einer emanzipatorischen Position nicht viel gemein. Einzug in den gesellschaftlichen Mainstream erhalten besonders Positionen, die von akademischen Strömungen wie »Critical Whiteness« oder den Settler Colonial Studies beeinflusst sind. Statt einer theoretischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen des Rassismus begegnet man in diesen Ansätzen häufig Angriffen auf Universalismus und Vernunft, der Einebnung der Spezifik von Antisemitismus und Holocaust und daraus resultierenden Positionen, die die Existenzberechtigung des jüdischen Staates in Frage stellen und – bewusst oder unbewusst – Antisemitismus befördern. Im Workshop sollen im Close-Reading-Verfahren zentrale Konzepte und Begriffe der Antisemitismuskritik Moishe Postones herausgearbeitet und für eine Analyse und Kritik gegenwärtiger antirassistischer Strömungen fruchtbar gemacht werden. Der herrschaftskritische Antizionismus letzterer erweist sich dann allzu oft als Form fetischisierter Kapitalismuskritik, welche die abstrakten ökonomischen Verhältnisse als konkretes Abstraktes – in Gestalt des jüdischen Staates – dingfest zu machen sucht. Im Anschluss wird anhand weiterer Texte insbesondere das auf den jüdischen Staat angewandte Kolonialframing behandelt.

Jakob Hoffmann ist Gründungsmitglied der Gesellschaft für kritische Bildung, veröffentlichte 2022 einen Aufsatz zur "Sozialpsychologie des Rassismus" und ist Mitherausgeber der bald im Verbrecher Verlag erscheinenden Sammelbände "Erinnern als höchste Form des Vergessens? (Um-)Deutungen des Holocaust und der Historikerstreit 2.0" (2023) sowie “Klimawandel und Gesellschaftskritik” (2024). Er lebt in Hamburg und studiert Politikwissenschaft. Robin Forstenhäusler studiert Philosophie an der Universität Oldenburg. Letzte Veröffentlichung: "Probleme intersektioneller Gesellschaftstheorie", in: Ingo Elbe et al. (Hg.), Probleme des Antirassismus.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 42: Universalismus und Relativismus der Menschenrechte in der Debatte um Kultur und Geschlechterordnung (Petra Klug)

Der Workshop widmet sich der Frage nach der Universalität oder Relativität der Menschenrechte und untersucht anhand der Intersektionen von Kultur und Geschlechterordnung, wo sich Kritische Theorie in dieser Frage heute verorten kann. Die Idee der universalen Menschenrechte ist, dass sie allen Menschen zustehen. In der Realität wurden sie aber oft nur denjenigen Menschen zugestanden, die der aktuellen Norm entsprachen. Frauen, Schwarze and Queers bspw. mussten sich ihre Anerkennung als Menschen erst erkämpfen und werden auch heute noch diskriminiert oder verfolgt. Der Universalismus ist also auf die Einbeziehung partikularistischer Bewegungen angewiesen um seinem Anspruch gerecht zu werden.
Auf den ersten Blick schien nur folgerichtig, dass der Kampf um Anerkennung nicht nur Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft und sexuelle Orientierung umfassen sollte, sondern auch Religion und Kultur. Wo dies allerdings nicht nur negativ mit dem Kampf gegen Diskriminierung, sondern auch positiv mit Anerkennungspolitik für Kultur, Religion, Tradition, Sitte oder Brauchtum einhergeht—wo Kultur also als solche geschützt werden soll—hat dies höchst problematische Konsequenzen für Frauen und Queers, denn Kultur enthält selbst Normen der Anerkennung oder Nichtanerkennung und diese sind in vielen Fällen heteronormativ und patriarchal.
Der Workshop beschäftigt sich kritisch mit postmodernen, kommunitaristischen, ethnopluralistischen, rassistischen und religiösen Relativierungen der Menschenrechte und diskutiert diese im Lichte feministischer Theorien. Dabei stelle ich einen Vorschlag zur Diskussion, der den Partikularismus zu Ende denkt und gerade dadurch universal sein kann. Abschließend widmen wir uns in Arbeitsgruppen dem Verhältnis von Individuum und Kultur, der Frage nach Freiheit und Zwang in kultureller Identität sowie der Ermöglichung von ökonomischer Kollektivität im Individualismus.

Petra Klug ist Soziologin, Religions- sowie Kulturwissenschaftlerin an der Universität Bremen und arbeitet dort an einem Projekt zu den Intersektionen von Religion und Geschlechterverhältnis am Beispiel von patriarchaler Gewalt. 2019 war sie Gastprofessorin für Kritische Gesellschaftstheorie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Arbeitsbereiche umfassen feministische Theorie, die Soziologie des Autoritarismus, der Diskurs über den Islam sowie Religion, Säkularität und Religionskritik. 2022 erschien ihre Dissertation Anti-Atheist Nation. Religion and Secularism in the United States bei Routledge.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 43: Digitale Transformation und Gegenwehr (Michael Fütterer, Malte Goy, Janina Hirth, Martin Lechner, Vertreterin H&M-Tarifkommission, Vertreterin von tie aus Südasien)

Digitalisierung meint eine grundlegende Transformation von Arbeit, Leben und Gesellschaft. Alle Branchen sind davon betroffen: Sämtliche Prozesse entlang von Lieferketten werden objektiviert, zergliedert und standardisiert. Ziel ist die digitale Steuerung und Optimierung im Interesse der Unternehmen. Digitalisierung ist in diesem Sinne eine Antwort auf die Krise der Kapitalakkumulation.
Als Grundlage dieser Transformation dienen Technologien und KI-Systeme, deren Bedeutung oftmals erst in ihrem Zusammenspiel deutlich wird. Ähnlich wie Ford und Toyota in früheren Akkumulationsregimen agieren Unternehmen wie Amazon und Inditex als Treiber und setzen Leitbilder für ganze Branchen. Für Arbeiter:innen verschärfen sich dadurch bereits bestehende Konflikte um Gesundheit, Arbeitszeit, Kontrolle und Prekarität. Kontrolle über permanente Feedbacksysteme, der ›totale‹ Zugriff auf den Menschen, sowie die systematische Flexibilisierung von Arbeitszeit und Beschäftigungsverhältnissen zeigen die neue Qualität der Auseinandersetzungen und neue Subjektivierungsformen an.
Zugleich findet diese Transformation weitgehend unter Ausschluss der Beschäftigten statt: Global gelingt es Gewerkschaften kaum, Einfluss zu nehmen. Dort wo dies doch versucht wird, beschränken sich Gewerkschaften oftmals auf eine Abfederung der Folgen. Beispiele, die Digitalisierung als umkämpften sozialen Prozess zu begreifen, der von den Beschäftigten kollektiv ausgestaltet werden muss, gibt es nur wenige.
In diesem Workshop wollen wir Erfahrungen von Beschäftigten, Gewerkschafter:innen und Betriebsräten mit der Digitalisierung diskutieren
und konkrete Bemühungen vorstellen, diese im Sinne der Beschäftigten zu beeinflussen. Beispiele hierfür sind der Digitalisierungstarifvertrag bei H&M und Bemühungen von Gewerkschaften die Digitalisierung in der Textilindustrie in Südasien zu verhandeln.

Alle Referent:innen sind seit mehreren Jahren im tie-Netzwerk [transnationals information exchange] aktiv. tie ist ein globales Netzwerk von [Basis-]Gewerkschafter:innen, deren internationale und lokale Praxis am Arbeitsplatz und in den Kommunen, sowie auch deren gemeinsame Theoriebildung, immer vom konkreten Menschen und seinen Bedürfnissen ausgeht. Michael Fütterer ist Arbeitswissenschaftler. Er koordiniert das internationale Netzwerk ExChains in der Textil- und Bekleidungsindustrie und im Einzelhandel. Malte Goy ist Schreiner, Soziologe und seit 16 Jahren IG-Metall-Mitglied. Janina Hirth studierte Politikwissenschaft und arbeitet am Referat Chancengleichheit und Diversity an der Hochschule Frankfurt, sie ist Mitautorin des Artikels »Algorithmic Assembly Lines«. Martin Lechner ist gelernter Informatiker und Politologe [M. A. Politische Theorie, Frankfurt]. Er koordiniert das internationale Wein-Netzwerk von Beschäftigten in der südafrikanischen Agrarindustrie und im Lebensmittelhandel. Mit: Vertreterin H&M-Tarifkommission und Vertreterin von tie aus Südasien.

 

[Anmeldung geschlossen. Keine freien Plätze mehr verfügbar!] Workshop 44: Aller Unhaltbarkeit zum Trotz. Zum Verhältnis von Ohnmacht und Freiheit, Hinnahme und Hingabe (Carolin Mauritz, Robin Mohan, Felix Roßmeißl, Christian Sperneac-Wolfer, Felix Trautmann, Franziska Wildt)

Kritische Gesellschaftsforschung nimmt Erfahrungen von Machtlosigkeit, Unbehagen und Herrschaft zum Ausgangspunkt für die Frage, wie sich die Verhältnisse reproduzieren, die diese Erfahrungen verursachen. Sie tut dies mit dem Ansinnen der Emanzipation und dem Ziel, die Befreiung aus Verhältnissen voranzutreiben, in denen der Mensch »ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen« (Marx) ist. Zugleich hat sie die Frage nach dem Subjekt dieser Befreiung im Blick. Denn historisch und auch heute zeigt sich, dass sich der Widerstand und das Aufbegehren gegen ›unhaltbare Zustände‹ nicht einfach proportional zur Verelendung und den spürbaren Freiheitsverlusten entwickeln. Protest lässt sich nicht unmittelbar aus Not und Leiden ableiten.
Vor dem Hintergrund dieses Auseinanderfallens kann die Frage der Kritik an den Verhältnisse anders formuliert werden: Und zwar als Frage nach ihren sozialen und kulturellen Beharrungskräften sowie nach solchen Umgangsweisen der Akteure mit Resignation und politischer Ohnmacht, die die Verhältnisse eher noch stabilisieren und Freiräume allenfalls im Kleinen und zum Nachteil anderer schaffen. Diese Perspektive stellt die gegenwärtige Gesellschaftskritik vor eine entscheidende Herausforderung. Denn sie muss Unterwerfung, gesellschaftliche Zwänge und Anpassungen als komplexe Arrangements verstehen, in denen, wie etwa auch in Marx‘ Diktum der »doppelt freien« Arbeiter:in, stets noch Freiheitsmomente zur Geltung kommen. Dies macht ein Verständnis derjenigen gesellschaftlichen Kräfte erforderlich, die die praktische Reproduktion der Verhältnisse vermittelt durch die Akteure stabilisieren, Kräfte also, deren Ursache weder einer freien Entscheidung rationaler Akteur:innen zugeschrieben noch als Ausdruck totaler Ohnmacht und Hinnahme verstanden werden können.
Im Workshop wollen wir die Wirkungsweise solcher gesellschaftlichen Kräfte diskutieren, die weder auf die ohnmächtige Akzeptanz noch auf Freiwilligkeit zurückgeführt werden können. Diesem ‚weder-noch‘ sowie den genannten Fragen gehen wir dabei sowohl in einer historischen Perspektive als auch mit konkreten Bezügen zu Subjektivierung in der Arbeitswelt, betrieblichen Organisationsformen und politischer Sozialisation nach.

Beteiligte: Carolin Mauritz, Robin Mohan, Felix Roßmeißl, Christian Sperneac-Wolfer, Felix Trautmann